DIEBURG | Der Zusammenstoß zweier Güterzüge im Mai 2022 ist auf eine Aneinanderreihung von sicherheitskritischen Faktoren und Fehlhandlungen zurückzuführen.
Wie die Gutachter der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) in ihrem Untersuchungsbericht schreiben, war Zug GAG 60101 in einen besetzten Blockabschnitt eingefahren und dort mit dem stehenden Zug DGS 42174 kollidiert. Der Unfall, bei dem der Lokführer des auffahrenden Zuges ums Leben kam, ereignete sich am 19. Mai 2022 um kurz nach 4 Uhr morgens. Der Lokführer des stehenden Zuges wurde leicht verletzt.
Ein ursächlicher Faktor für das Zugunglück war demnach die Rücknahme einer Fahrstraße mittels zählpflichtiger Hilfstastenbedienung, die von der verwendeten Zugnummernmeldeanlage als Haltfall des Ausfahrsignals im Bahnhof Babenhausen interpretiert wurde, obwohl dieses nicht auf Fahrt stand. In der Folge kam es zu einer Fortschaltung der Zugnummer von Güterzug DGS 42174. Die im nächsten Blockabschnitt befindliche Zugnummer von DGS 46192 wurde dadurch überschrieben.
Da der Zug DGS 42174 aber noch nicht ausgefahren war, wurde die Zugnummer für das Gleis 1 vom Fahrdienstleiter manuell erneut eingegeben. Dies führte dazu, dass die fortgeschriebene Zugnummer auf dem nachfolgenden Streckenblock wieder automatisch gelöscht wurde – übrig blieb zunächst eine Besetztanzeige mit Rotausleuchtung. Nach der späteren Ausfahrt von DGS 42174 aus dem Bahnhof Babenhausen, befanden sich infolge der Ereignisse im 5,4 Kilometer langen Blockabschnitt vor dem Bahnhof Dieburg zwischenzeitlich zwei Züge – DGS 46192 hatte dort 16 Minuten lang vor dem Einfahrsignal unbemerkt gestanden. Als das Signal einen Fahrtbegriff zeigte, setzte DGS 46192 seine Fahrt fort. Die Durchfahrt durch den Bahnhof Dieburg nahm der dortige Fahrdienstleiter fälschlicherweise als DGS 42174 wahr – tatsächlich befand sich dieser noch im Blockabschnitt vor dem Bahnhof.
Dem Bericht zufolge habe es aus Sicht des Stellwerksmitarbeiters in Dieburg keine Veranlassung gegeben, die Informationen der Zugnummernmeldeanlage zu hinterfragen und nach einem fehlenden Zug zu forschen. Der Fahrdienstleiter interpretierte die Besetztanzeige als Achszählstörung, wie die Gutachter erläutern. Der Standortmeldung des Lokführers von DGS 42174, der Dieburg noch nicht durchfahren hatte, schenkte er keinen Glauben und vertraute stattdessen auf die Zugnummernmeldeanlage und seiner falschen Zugschlussfeststellung. Durch die Bedienung der Achszählgrundstellung wurde der noch von Zug DGS 42174 besetzte Abschnitt als frei angezeigt, was dazu führte, dass der nachfolgende Zug GAG 60101 am Fahrt zeigenden Blocksignal vorbeifahren und ungebremst mit etwa 94 Stundenkilometer auf den letzten Wagen des stehenden Güterzuges auffahren konnte.
Die Unfallermittler kommen zu dem Ergebnis, dass das Unglück „auf eine Aneinanderreihung von sicherheitskritischen Faktoren“ zurückzuführen ist. „Mehrere ursächliche, beitragende und systemische Faktoren führten dazu, dass sich eine Ereigniskette bilden konnte und letztlich zur Kollision der Züge führte.“ Zudem wurden sicherheitsrelevante Regelwerksvorgaben laut dem Bericht nicht umgesetzt.
Neben den Personenschäden entstand auch ein hoher Sachschaden, der auf insgesamt 1,935 Millionen Euro beziffert wird. Bei der Kollision wurden die Lok und die ersten Wagen des auffahrenden GAG 60101 sowie die letzten Wagen des DGS 42174 erheblich beschädigt. Schäden entstanden außerdem am Ladegut beider Züge sowie an der Infrastruktur.
EVN