Die großen Herausforderungen der Schiene in Deutschland sind vielfältig. Doch welche Lösungen und Strategien für die Zukunft gibt es, um diese bewältigen zu können? Die Beantwortung dieser drängenden Frage war das zentrale Thema auf dem vom Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN) ausgerichtete „Treffpunkt SchienenNah“ in Fulda.
Über 400 Fach- und Führungskräfte aus Bahnbranche und Politik haben am gestrigen Donnerstag und damit zehn Tage vor der Bundestagswahl miteinander diskutiert. Dabei sendeten die großen Bahnverbände ein Signal zur Dialogbereitschaft an die Politik.
„Gemeinsam“ war dabei das wohl am häufigsten verwendete Wort. Die Conclusio des Tages nahm BSN-Präsident Thomas Prechtl sogleich in seinem Eingangsstatement vorweg: „Den Herausforderungen, die jetzt vor uns liegen, können wir nur gemeinsam begegnen.“
Und so begann der Tag auch mit einem Schulterschluss der Präsidenten der drei großen Bahnverbände Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN) und mofair, dem Verband der privaten Schienenpersonenverkehrsunternehmen in Deutschland. Alle drei präsentierten ein gemeinsames Thesen- und Forderungspapier mit dem Titel „Für eine zukunftsgerichtete Neuorganisation und Finanzierung des ÖPNV.“
Im Anschluss standen die Vertreterinnen und Vertreter der sogenannten „G8“ gemeinsam auf der Bühne. Gemeint sind die acht großen Bahnverbände in Deutschland, die ihre Forderungen an eine künftige Bundesregierung vorstellten.
So forderte beispielsweise Pauline Maître vom Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), dass unter anderem eine verlässliche und überjährige Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen mindestens über die nächste fünf Jahre sichergestellt werden müsse. MOFAIR-Geschäftsführer Matthias Stoffregen ergänzte, dass die aktuelle Praxis der eigenkapitalbasierten Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen durch die Deutsche Bahn beendet werden müsse, weil diese unweigerlich große Auswirkungen auf die Trassenpreisgestaltung habe.
Wolfgang Groß von „Die Güterbahnen“ warnte vor den angedrohten Kostensteigerungen bei den Trassenpreisen von bis zu 30 Prozent, die der Leistungssteigerung im Güterverkehr entgegenstehe. Schließlich wolle man bis 2030 den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von 20 auf 25 Prozent steigern.
Der VDV-Geschäftsführer für den ÖPNV, Alexander Möller, ordnete in seinem Statement ein, dass es immer leicht sei, mehr Geld zu fordern, das auch unbedingt benötigt würde. Mindestens ebenso wichtig sei jedoch auch das Etablieren eines neuen Mindsets bei den politischen Verantwortlichen für den SPNV: „Wir brauchen einen Treiber bei der Priorisierung für die öffentliche Mobilität, für den Güterverkehr und im Personenverkehr. Aus unserer Sicht kann und muss das die neue Bundesregierung sein.“ Das schließe ausdrücklich mit ein, nicht nur das Thema, sondern auch die Branche selbst mit anzutreiben. Vor allem bei der Integration der Angebote im SPNV sei ein Mehr an Zusammenarbeit wünschenswert, so Möller.
In seiner Replik auf die Verbandsforderungen antwortete Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dass in den vergangenen drei Jahren und in Zusammenarbeit mit der Bahnbranche noch nie so viel Geld in die Schiene gepumpt worden sei wie jetzt. „Dieser Erfolg darf nicht durch abbrechende Finanzströme gefährdet werden.“ Er hoffe, dass eine künftige Bundesregierung eine nachhaltige Finanzierung sicherstellt und dass das Engagement für die Schiene nicht einem Verteilungskampf für die Mittel der Zukunft zum Opfer falle. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, die nächste Legislatur nicht mit einer umfassenden Strukturdebatte zu verbringen, ob eine Trennung von Netz und Betrieb sinnvoll sei. Würde man eine solche Debatte jetzt führen, verlöre man die nächsten vier Jahre, so Bartols Einschätzung.
Auch zur Ausgestaltung des künftigen TTrassenpreissystemsnahm Bartol Stellung: „So wie es jetzt ist, kann es nicht funktionieren. Das Thema muss die nächste Koalition ganz vorne auf der Agenda haben. Sonst verliert die Bahnbranche massiv ihre Wettbewerbsfähigkeit.“ Zugleich erinnerte er daran, dass die Bahnbranche selbst in Sachen Innovation noch nicht am Ende sei und gab damit indirekt den Auftrag zurück, selbst weiter nach neuen Lösungen für die Herausforderungen zu suchen. Zum Deutschlandticket sagte Bartol abschließend: „Das muss so bleiben, wie es ist.“
Zukunft von Schiene, Infrastruktur und Trassenpreissystem
Im folgenden Programm haben die Referentinnen und Referenten weitere Einblicke in unterschiedliche Aspekte gegeben. So skizzierte beispielsweise Katharina Kleinlein, Senior Project Manager H&Z Unternehmensberatung GmbH, in ihrem Vortrag mehrere mögliche Szenarien für die Zukunft der Schiene in Deutschland im Jahr 2035.
Die Zukunft von Infrastruktur und Trassenpreissystem war auch Thema im folgenden Themenblock des Treff.SchienenNah. Dr. Philipp Nagl, Vorstandsvorsitzender DB InfraGO AG, und Dr. Tobias Heinemann, Konzernbeauftragter Gemeinwohlorientierung DB AG haben in einem Vortrag Eckpunkte eines künftigen Verkehrsinfrastrukturfonds für Deutschland sowie einer Trassenpreisreform vorgestellt.
Weiterer Diskussionspunkt im Rahmen des Treff.SchienenNah war das drängende Thema Fachkräftemangel. Hier gab die VDV-Akademie Einblick in die aktuellen Zahlen und der Bereich Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn präsentierte Ideen für erfolgreiche Recruiting-Maßnahmen. Darüber hinaus kamen auch die Herausforderungen beim Thema Einnahmeaufteilung beim Deutschlandticket aus Sicht von Verkehrsunternehmen sowie eine Brancheninitiative zur Verbesserung der Reisendeninformationsqualität zur Sprache.
In der abschließenden Podiumsdiskussion von Branchen-Expertinnen und -Experten ging es um die Fragestellung wie künftig der Wettbewerb im SPNV vor dem Hintergrund des aktuellen Welt- und Klimageschehens und immer enger werdenden finanziellen Spielräumen gesichert werden kann. Es diskutierten Dr. Sabine Stock (Vorständin ÖBB-Personenverkehr AG), Martin Becker-Rethmann (Präsident mofair und Geschäftsführer Transdev Group), Dr. Jan Schilling (Vorstand Marketing DB Regio AG), Peter Panitz (Geschäftsführer NASA GmbH), Jan Görnemann (Sprecher der Geschäftsführung des BSN).
Dabei wurden vor allem drei Punkte deutlich:
1. Es herrscht Einigkeit innerhalb der Bahnbranche über die unterschiedlichen Herausforderungen, denen sich die Schiene in Deutschland aktuell gegenübersieht.
2. Für viele dieser Herausforderungen braucht es sehr schnell zukunftsfähige Lösungen.
3. Diese Lösungen kann es nur im gemeinsamen Diskurs und mit einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten geben.
So stellte Jan Görnemann in einem Statement fest: „Die Bahnverbände haben am heutigen Tag die Hand ausgestreckt. Wir haben konkrete Vorschläge und Ideen für die Zukunft der Schiene in Deutschland eingebracht und sind jetzt offen für ehrlichen und durchaus auch selbstkritischen Dialog.“
BSN-Präsident Thomas Prechtl ordnete den Erfolg des 24. Treff.SchienenNah wie folgt ein: „Es ist uns als Branche gelungen, von Fulda aus ein starkes Signal nach Berlin zu senden. Die Verbände stehen zusammen, die Verbände wissen, was die Schiene und die Branche jetzt brauchen, und die Verbände sind es, auf die eine neue Bundesregierung zugehen sollte, um die Herausforderungen und Probleme nachhaltig zu lösen.“
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EVN (redaktionell bearbeitet / Quelle: Bundesverband SchienenNahverkehr)