BERLIN | Nach dem Beschluss zum 49-Euro-Ticket schwankt die Verkehrsbranche zwischen Begeisterung und Enttäuschung. So oder so: Bis zur Einführung dürfte es noch eine Weile dauern.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hält einen Start des neuen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr im Januar für nicht machbar. Realistisch sei eine Einführung am 1. März, sagte Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Das Ticket sei in kurzer Frist nicht umzusetzen. Wolff sagte weiter, für eine Übergangszeit werde es das Ticket auch in Papierform geben.
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder hatten sich am Mittwochabend auf die Nachfolgelösung zum 9-Euro-Ticket geeinigt – und dabei auch einen Kompromiss im Streit um die generelle Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gefunden.
Dieser sieht nun vor, die sogenannten Regionalisierungsmittel, mit denen der Bund den ÖPNV in den Ländern mitfinanziert, um eine Milliarde Euro pro Jahr zu erhöhen. Von 2023 an sollen die Regionalisierungsmittel jährlich um drei Prozent erhöht werden. Bisher waren es 1,8 Prozent.
In der Verkehrsbranche stieß diese Lösung am Donnerstag auf geteiltes Echo. Der Interessenverband Allianz pro Schiene lobte den Beschluss als „historischen Schritt“ auf dem Weg zu einer modernen Verkehrspolitik, wie Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege am Donnerstag mitteilte. „Es ist ein Riesenschritt fürs Klima und eine Richtungsentscheidung für die Verkehrswende, dass die Politik den ÖPNV nun tatsächlich leichter zugänglich, preiswerter und attraktiver machen will.“
Auch die Deutsche Bahn äußerte sich erfreut über das geplante 49-Euro-Ticket. „Damit revolutionieren wir die Art, wie sich die Menschen in Deutschland im Alltag fortbewegen“, teilte die neue Vorständin für den Regionalverkehr, Evelyn Palla, mit.
Andere Verbände waren hingegen deutlich kritischer. „Mit diesem Kompromiss wird nur kurzfristig der Druck aus dem Kessel genommen“, teilte etwa der Präsident des Bundesverbands Schienennahverkehr, Thomas Prechtl, mit. In dem Verband sind vor allem die Verkehrsverbünde in Deutschland organisiert, sie bestellen den Nahverkehr bei den Verkehrsunternehmen. Laut Prechtl werde spätestens im kommenden Jahr mit diesem Ergebnis wieder neuer Streit über die Finanzierung des ÖPNV ausbrechen. „Denn für den ÖPNV insgesamt sind die nun zugesagten eine Milliarde Euro zusätzlicher Regionalisierungsmittel bei weitem nicht ausreichend.“
Auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bewertete die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz vom Mittwochabend kritisch. Die Herausforderungen Angebotsausbau, mehr Personal und mehr Fahrzeuge ließen sich mit der zugesagten Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel von rund einer Milliarde Euro nur teilweise lösen, teilte Gewerkschaftschef Martin Burkert mit.
Zur einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Gewerkschaft Verdi: Die Regionalisierungsmittel aufzustocken, sei der richtige Weg. Allerdings würden die für 2022 und 2023 jeweils zugesagten Gelder dafür nicht ausreichen. „Ob die aktuell prognostizierte Finanzierungslücke, die um ein Drittel höher liegt, geschlossen wird, hänge maßgeblich davon ab, ob die ebenfalls beschlossene Strompreisbremse und die entsprechenden Härtefallregelungen auch auf die Verkehrsunternehmen Anwendung finden“, hieß es in einer Mitteilung vom Donnerstag. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle ergänzte dazu: „Das Ticket macht den ÖPNV für die Fahrgäste ohne Frage attraktiver. Aber wer ein solches Angebot einführt, und dann die Kosten nicht trägt, ist unehrlich, weil hierdurch eine strukturelle Unterfinanzierung des ÖPNV zementiert wird.“