BISPINGEN | Die Deutsche Bahn lockt mit etwas kürzeren Fahrzeiten zwischen Hamburg und Hannover und favorisiert im Dauerkonflikt wohl die Neubauvariante an der A7 entlang. Doch Anwohner wehren sich.
“Hier hält kein Zug” – heißt es auf riesigen Plakaten, gelb-rote Kreuze säumen die Straßen im Heidekreis. Die Anwohner haben angesichts der Neubaupläne der Bahnstrecke Hannover-Hamburg Angst um ihre Heidelandschaft und Arbeitsplätze in der Touristenregion. “Für uns ist das unfassbar. Wenn hier eine Riesen-Baustelle entsteht, hält das die Besucher ab und neben der Naturzerstörung in der Lüneburger Heide gehen 500 Arbeitsplätze verloren”, sagt der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Unsynn, Stephan Müller, im Bispinger Horstfeld direkt an der Autobahn.
Die Wintersporthalle Snow Dome und das Ralf Schumacher Cart Center locken zu jeder Jahreszeit. Die Befürchtung angesichts der Baupläne: Kartcenter und das Hotel am Snow Dome müssten weichen. “Wir haben 250 000 Besucher jährlich und die Familie Schumacher würde gern ein Hotel dazubauen”», sagt Malte Schmidt, Geschäftsführer des Cart Centers. Wegen der Ungewissheit liegen alle Pläne auf Eis, Mitarbeiter machen sich Gedanken um die Zukunft.
“Wir sind hier das Spinnennetz für den Tourismus in der Region”, betont Müller, der auch Ortsvorsteher in Bispingen ist. Seit acht Jahren kämpft er für eine Generalsanierung der bestehenden Strecke unter Einbeziehung Bremens und dafür, dass erst dann der Bedarf für Personen- und Güterverkehr ermittelt wird.
Die Deutsche Bahn ist weiterhin für einen Neubau der Strecke. Damit werde die Fahrzeit zwischen Hamburg und Hannover auf 59 Minuten sinken – etwa eine Viertelstunde weniger als derzeit. Wenn die bestehende Strecke ausgebaut oder modernisiert werden würde, würde sich die Fahrzeit nicht verbessern, teilte ein Bahnsprecher mit. Die Bahn sieht den Neubau in einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis.
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Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen bedauert die Positionierung des Bundesverkehrsministeriums, ebenfalls einen Neubau zu favorisieren, statt auf den Ausbau der bestehenden Alpha-E-Lösung zu setzen. Mit diesem Begriff wird die Erneuerung bestehender Strecken gemeint.
“Seit 2015 gibt es mit Alpha E, getragen von einer breiten Mehrheit, eine sinnvolle Lösung für den Schienenausbau. Dass diese nun wiederholt beiseite gewischt wird und Umweltbelange weiterhin abgetan werden, ist ein Armutszeugnis”, schrieb der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann und kritisierte die Uneinigkeit zwischen Bund und Land und die unnötige Verzögerung des gesamten Vorhabens.
Bispingens Bürgermeister Jens Bülthuis (parteilos) fühlt sich wie viele Kommunen in der Region nicht mitgenommen bei der Entscheidung über die Zukunft: “Die A7-Variante liefe etwa neun Kilometer entlang der Autobahn, ansonsten fernab durch die Heide.” Auch Winsens Bürgermeister André Wiese fehlt die Transparenz, Harburgs Landrat Rainer Rempe (beide CDU) moniert, dass die Bahn bereits viel wertvolle Zeit verschwendet habe. Lüneburgs Landrat Jens Böther (CDU) begrüßt dagegen den Neubau-Plan, die Hansestadt befürchtet ansonsten neue Gleise mitten durch die City.
Die Sanierung beziehe den ländlichen Raum viel besser mit ein, führt der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil an, dessen Wahlkreis im Heidekreis liegt: “Es kann nicht einzig darum gehen, dass die Menschen in sehr wenigen Minuten schneller von Hamburg nach Hannover kommen. Der Ausbau der Schiene muss auch dazu führen, dass die Region stärker angeschlossen und dort die Kapazitäten für den öffentlichen Nahverkehr erhöht werden.”
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Klingbeil sagte der Nachrichtenagentur dpa, schon 2015 hätten bei einem Dialogforum 90 Vertreter monatelang diskutiert und sich auf den klimafreundlicheren Ausbau der Bestandsstrecken geeinigt. “Die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürger ist gerade durch die Einbindung in den Entscheidungsprozess sehr groß, sie verstehen nicht, warum die Bahn von einem breit getragenen Kompromiss nun wieder abrückt”, sagt Klingbeil. “Ich merke, dass viele Menschen so das Vertrauen in demokratische Prozesse verlieren.”
Ein Neubau kann sich Schätzungen zufolge bis 2045 hinziehen. Es könnte auch noch Klagen geben, weil die Planung Naturschutzgebiete betrifft. Mit der angekündigten Generalsanierung der wichtigsten Bahn-Korridore in Deutschland sieht Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies neue Möglichkeiten, weil die Strecke für ein halbes Jahr komplett gesperrt werde. Wenn man dieses Fenster nutze und die Sanierung um drei Jahre von 2026 auf 2029 verschiebe, dann hätte man genug Zeit für die Planung und könnte mit dem Ausbau der Strecke loslegen, sagt der SPD-Politiker.
“Im Ziel sind alle Beteiligten da gar nicht auseinander: Wir brauchen dringend mehr Kapazität zwischen Hannover und Hamburg, und genauso im Dreieck mit Bremen. Einen Neubau wird man aber gegen den Willen der Bevölkerung nicht durchsetzen können”, bekräftigt Lies.
dpa