Mehr Videoüberwachung an Bahnhöfen in Thüringen kommt – Skepsis bei Opferberatern


ERFURT | An Bahnhöfen ist viel los und es kommt auch zu gewaltsamen Konflikten. Hervorstechende Kriminalitätsschwerpunkte sind diese Orte den Zahlen nach in Thüringen nicht. Die Deutsche Bahn will die Videoüberwachung in einigen größeren Bahnhöfen dennoch verbessern.

Die Bahn möchte die Videoüberwachung an mehreren Thüringer Bahnhöfen ausweiten. Noch in diesem Jahr plane die Bahn „die komplette Ausstattung des Hauptbahnhofs Erfurt mit Videotechnik mit rund 60 Kameras“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens. Dazu, wie viele Kameras dort bislang verbaut sind, machte sie keine Angaben. Bis 2024 sollten auch die Bahnhöfe Eisenach, Saalfeld an der Saale, Gera Hauptbahnhof, Jena-Göschwitz und Jena-West mit moderner Videotechnik ausgerüstet werden. Insgesamt werde die Bahn 70 Kameras an diesen Stationen installieren. „Der Einsatz von Videotechnik an Bahnhöfen ist ein wichtiger Baustein, um die Sicherheit weiter zu erhöhen“, sagte die Sprecherin.

Bundesweit sollten aus den bislang verbauten etwa 9.000 Kameras des Unternehmens bis Ende 2024 etwa 11.000 Videokameras an Bahnsteigen und in Bahnhöfen werden. Die neuen Kameras sollten klarere Bilder und zusätzliche Blickwinkel liefern. „Zugriff auf gespeicherte Bilder hat dabei nur die Bundespolizei“, hieß es.

Grundsätzlich seien Bahnhöfe in Deutschland zwar schon heute sichere Orte, obwohl an den etwa 5.700 Bahnhöfen des Unternehmens täglich rund 21 Millionen Reisende oder Besucher zusammenkämen. Allerdings beobachte auch die Bahn, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt im öffentlichen Raum sinke. Das sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagte die Sprecherin. „Mehr Konflikte und Übergriffe gibt es im öffentlichen Verkehr leider genauso, wie bei Polizeien, Feuerwehren und Rettungsdiensten.“

Auch nach den Daten der Landes- und der Bundespolizei sowie der Opferschutz-Organisation Weißer Ring sind Bahnhöfe in Thüringen keine herausragenden Schwerpunkte von Gewalt – gleichwohl es dort immer wieder zu Übergriffen kommt. Vor allem am Hauptbahnhof Erfurt kämen Gewalttaten immer wieder vor, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass Erfurt ein zentraler Punkt im Bahnverkehr sei. An allen Bahnhöfen im Freistaat habe die Bundespolizei 2022 insgesamt 180 Gewaltdelikte wie etwa Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung oder Raub registriert, sagte der Sprecher. Im Vorjahr seien es 131 gewesen.

Die Thüringer Polizei stellte nach Angaben der Landespolizeidirektion im Jahr 2022 etwa 800 Straftaten an Bahnhöfen im Freistaat fest; darunter 23 Fälle von Gewaltkriminalität. Ein Jahr zuvor waren es etwa 890 Fälle insgesamt und darunter 23 Fälle von gewalttätigen Straftaten gewesen. Zur Einordnung: Insgesamt registrierte die Landespolizei im Jahr 2022 fast 136.000 Straftaten im Freistaat. Das heißt, dass sich nur etwa 0,6 Prozent der erfassten Delikte an Bahnhöfen zugetragen haben.

Dass es für Straftaten an Bahnhöfen unterschiedliche Daten der Polizei gibt, hat mit den unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bundes- und Landespolizei zu tun. Grundsätzlich obliegt der Schutz der öffentlichen Ordnung dort der Bundespolizei. Immer wieder kommen allerdings auch Landespolizisten an Bahnhöfen zum Einsatz, wenn es zu Straftaten kommt. Die Thüringer Landesvorsitzende des Weißen Rings, Marion Walsmann, sagte ebenfalls, nach ihren Erfahrungen spielten Bahnhöfe als Tatorte in Thüringen keine herausgehobene Rolle.

Die Opferschutzorganisation ezra äußerte Zweifel daran, dass mehr Videoüberwachung zu weniger Gewaltkriminalität führt – jedenfalls dann, wenn die Übergriffe aus rechtsextremen Tatmotiven erfolgen. Bei den ezra bekannt gewordenen Übergriffen aus den vergangenen Jahren an Bahnhöfen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln hätten sich Täter nicht von vorhandenen Videoüberwachungssystemen abschrecken lassen, sagte der Projektkoordinator von ezra, Franz Zobel. „Menschen wurden geschlagen, getreten oder auf die Gleise geschubst.“ Oft fänden solche Angriffe durch Gruppen statt. Das Verhalten der Angreifer trotz Videoüberwachung zeige, dass diese sich einigermaßen sicher vor einer Strafverfolgung wähnten.

Zobel forderte, dass die Strafverfolgung von rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt daher konsequenter werden müsste. Zudem müssten die Verkehrsunternehmen konkrete Handlungsabläufe entwickeln, wenn es zu entsprechenden Übergriffen käme. Viele Menschen, die bei ezra Hilfe suchten, schilderten, dass sie Angst hätten mit Bus und Bahn unterwegs zu sein, „da es Orte erlebter rassistischer Diskriminierung sind“, so Zobel.


dpa