Flüchtlinge lassen sich zu Lokführern ausbilden – Schulung endet bald


STUTTGART | Lokführer sind Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Tausende stehen kurz vor der Rente. Im Südwesten sollen Geflüchtete Abhilfe schaffen. Erfahrungen dazu gibt es in der Branche bereits.

Der Mangel an Know-how ist für viele Branchen erdrückend: Bis zum Jahr 2035 werden der Wirtschaft im Südwesten mehr als 860.000 Fachkräfte fehlen, weil die Babyboomer der 50er- und 60er-Jahrgänge in Rente gehen. Zeitgleich kommen immer mehr Flüchtlinge aus allen Teilen der Welt nach Deutschland und beginnen, in ihrer neuen Heimat zu arbeiten. Auch die Bahn sucht händeringend nach Lokführern, der Mangel führt immer öfter zu Zugausfällen – dabei sollen die Fahrgastzahlen eigentlich bis 2030 verdoppelt werden. Deshalb bildet das Unternehmen seit etwa zwei Jahren auch Geflüchtete aus, um einen Zug zu führen. Es baut dabei nicht zuletzt auf die Erfahrungen anderer baden-württembergischer Verkehrsbetriebe.

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Insgesamt 13 Menschen aus dem Iran, Syrien und Pakistan stehen bei der S-Bahn Stuttgart nach einer Umschulung zum Eisenbahner kurz vor dem Abschluss. Sie sind Teil eines Projekts, das das Landesverkehrsministerium gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und mehreren Eisenbahnverkehrsunternehmen vor zwei Jahren gestartet hatte. Ist sie zufrieden? Das will die Bahn am Freitagnachmittag in Stuttgart verraten.

Der Bedarf an Lokführern ist groß. Bei der Bahn in Baden-Württemberg arbeiten derzeit 2.700 Männer und Frauen im Führerstand. Bis Oktober hat das Unternehmen bereits 170 weitere allein im Südwesten eingestellt, außerdem arbeiten 100 Nachwuchskräfte beim Unternehmen. Die S-Bahn Stuttgart zählt zwar rund 400 Lokführerinnen und Lokführer, sie hat zudem in den vergangenen beiden Jahren insgesamt rund 100 eingestellt. Allerdings wird der Eisenbahnknoten in der Landeshauptstadt digitalisiert. Mehr Angebot, mehr Züge, also auch mehr Lokführer: Es sind also bei der S-Bahn mehr als zwei Dutzend weitere Angestellte nötig, hinzu kommt die in allen Unternehmen übliche Zahl der normalen Abgänge.

Und dennoch sind die Hürden hoch, bis der Platz im Führerstand eingenommen werden kann. Viele Kandidaten scheitern bereits an den ärztlichen und psychologischen Eignungstests, bei denen Konzentration und Reaktionen, Seh- und Hörfähigkeit sowie Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein geprüft werden. Der Schichtdienst hält zudem viele bereits von einer Bewerbung bei der Bahn ab, hinzu kommt die seelische Belastung durch Suizide auf den Strecken sowie der Pendeldienst.

Der neue baden-württembergische Abschlusskurs der Bahn mit etwa einem Dutzend Flüchtlingen wurde zwei Jahre lang umgeschult und dabei begleitet von zwei vom Land finanzierten Ausbildern („Coaches“). Die Auszubildenden erhielten ein Sprachtraining, sie wurden bei Hausaufgaben betreut, sozialpädagogisch unterstützt und bei Behördenfragen begleitet.

Erfahrungen mit Flüchtlingen in der Ausbildung haben mehrere baden-württembergische Eisenbahnunternehmen bereits gemacht. In einem seltenen Zusammenspiel mehrerer Konkurrenten arbeiten die Albtal-Verkehrsgesellschaft (AVG), Go-Ahead, Abellio und die MEV-Eisenbahnverkehrsgesellschaft zusammen, bilden aus und sichern sich auf diesem Weg einen kleinen Teil ihres Lokführer-Nachwuchses. Auch bei diesem Projekt engagiert sich die Bundesagentur für Arbeit, sie übernimmt die Lehrgangskosten und beteiligt sich an den Lohnkosten.

Als „großen Erfolg“ bezeichnet AVG-Sprecher Michael Krauth das Projekt, dessen zweiter Jahrgang derzeit ausgebildet wird. „Es wurden alle Auszubildenden übernommen.“ Sehr erfolgreich sei der erste Geflüchteten-Qualifizierungskurs auch für die vier damaligen Kursteilnehmer von Go-Ahead verlaufen, teilte Go-Ahead Baden-Württemberg mit. Außerdem zeigten die Erfahrungen, wie einfach es sein könne, den Fachkräftemangel und auch die Integration von Geflüchteten in Deutschland zu bekämpfen, hatte Geschäftsführer Fabian Amini zum Start des zweiten Jahrgangs im Juli betont.


dpa / EVN

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