24 alte Bahnstrecken auf dem Prüfstand – Pro Bahn: „Ideenlosigkeit“


WIESBADEN | Nach einem aktualisierten Bericht zur Reaktivierung alter Bahnverbindungen werden landesweit 24 Strecken geprüft.

Diese Trassen umfassen laut Hessen Mobil einen Raum von 103 Gemeinden, in denen mehr als 1,3 Millionen Menschen leben. Seit 1995 wurden bereits sieben stillgelegte Strecken reaktiviert, elf Strecken würden nun untersucht oder bereits geplant. In den Jahren zwischen 1920 und 2010 wurde dem Bericht zufolge auf 67 Strecken in Hessen der Schienenverkehr eingestellt.

„Die Schiene ist ein umwelt- und klimafreundlicher Verkehrsträger“, sagte Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) zu dem Bericht. „Die Reaktivierung stillgelegter Strecken ist ein Beitrag, auch abseits der Ballungsräume attraktive Alternativen zum Auto anzubieten.“

Nach Ansicht des Fahrgastverbands Pro Bahn ist der Bericht Augenwischerei. Er wirft der Landesregierung, Verkehrsverbünden und einem großen Teil der 21 Kreise „Ambitions- und Ideenlosigkeit“ vor. Sieben Reaktivierungen seien eine Falschdarstellung. Eigentlich seien es drei. Die anderen hätten Bezug zum Ausbau der S-Bahn Rhein/Main oder eines dazugehörigen Mischbetriebs und könnten fachtechnisch nicht als Reaktivierung bezeichnet werden.

Für Groß-Zimmern ist eine Entscheidung offensichtlich schon gefallen. „Eine Reaktivierung der Bahnverbindung Groß-Zimmern – Darmstadt als Eisenbahnstrecke wird von uns nicht weiterverfolgt“, heißt es bei der Darmstadt-Dieburger-Nahverkehrsorganisation Dadina. Zusammen mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) sei 2019 eine Nutzen-Kosten-Untersuchung durchgeführt worden, die einen negativen Nutzen-Kosten-Faktor hatte. Derzeit würden Planungen für eine Straßenbahnanbindung laufen. Auch anderswo laufen Planungen und Untersuchungen.

Zwischen Wiesbaden und dem rheinland-pfälzischen Diez rollte einst die Aartalbahn durch den Taunus – derzeit wird begutachtet, ob dies auch zukünftig wieder möglich gemacht werden sollte. Die Landeshauptstadt Wiesbaden und der Rheingau-Taunus-Kreis haben gemeinsam mit dem RMV eine Machbarkeitsstudie für den Südabschnitt bis nach Bad Schwalbach auf den Weg gebracht. Mit einem Ergebnis rechnen die Initiatoren im Laufe dieses Jahres, wie ein RMV-Sprecher mitteilte.

„Die Untersuchung soll darüber Aufschluss geben, welche technischen Maßnahmen notwendig wären, um dort wieder planmäßig Personenzüge anzubieten.“ Sie ergänzt eine vor zwei Jahren erfolgte Untersuchung des Abschnitts von Bad Schwalbach bis Diez. Bevor möglicherweise Pendlerzüge fahren, könnten auf dem Streckenabschnitt bei Wiesbaden bereits Museumszüge rollen. Der Verein Nassauische Touristik-Bahn hatte bereits bis 2009 Museumsfahrten mit Dampfzügen angeboten.

Derzeit ist eine Wiederinbetriebnahme zwischen dem Bahnhof Wiesbaden-Ost und dem Haltepunkt Wiesbaden-Landesdenkmal geplant. Die Bahn steht wegen ihrer einmaligen Trassierung und sozialgeschichtlichen Bedeutung als Fürsten- und Bäderbahn unter Denkmalschutz.

In Nordhessen könnte nach der Unteren Edertalbahn auch die Obere Edertalbahn reaktiviert werden. Eine Machbarkeitsstudie zu der zwölf Kilometer langen Strecke zwischen Frankenberg und Battenberg (Landkreis Waldeck-Frankenberg) konnte Hessen Mobil zufolge positiv abgeschlossen werden. Die zugehörige Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) laufe derzeit noch.

Die Studie betrachtet demnach ein gemeinsames Betriebskonzept mit der gut 31 Kilometer langen Strecke der Unteren Edertalbahn zwischen Frankenberg und Korbach. Deren insgesamt 22,9 Millionen Euro teure Reaktivierung hat sich laut dem Nordhessischen Verkehrsverbund (NVV) entgegen aller Befürchtungen, Kritik und Erwartungen für die gesamte Region gelohnt. Mehr als 340.000 Fahrgäste nutzten jährlich die im September 2015 eingeweihte Strecke. „Damit hat sich die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer seit dem Start mehr als verdoppelt“, sagt Pressesprecherin Sabine Herms.

Die Verbindung, die 1987 stillgelegt worden war, werde nicht nur für die täglichen Wege zur Arbeit, Schule und Ausbildung, sondern auch für Reisen zu touristischen Zielen wie dem Edersee, dem Nationalpark Kellerwald oder in das Skigebiet Willingen genutzt, erläuterte Herms. Sie seien damit mit der Bahn auch aus Nordrhein-Westfalen, Süd- und Mittelhessen zu erreichen.

Mit der möglichen Reaktivierung der Oberen Edertalbahn bekäme der ländliche Raum eine weitere Verbindung mit dem Verkehrssystem Bahn, sagt Herms. „In diesem Fall könnte gleichzeitig das Mittelzentrum Frankenberg und die Universitätsstadt Marburg angebunden werden.“ Die vorhandene Trasse kann laut NVV genutzt werden. Erneuert werden müssten der Aufbau des Gleises, die Leit- und Sicherungstechnik, die Stationen und fast alle Bauwerke wie Brücken und Durchlässe.


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