BERLIN | Bahnchef war für ihn lange wie ein Vorname: Bahnchef Mehdorn. Manche meinen, die Fahrgäste büßten heute für seine Strategie in den Nuller-Jahren. Klar, dass Mehdorn dazu eine Meinung hat.
Sein Name fällt jetzt wieder häufiger, obwohl er sich längst zurückgezogen hat. Wenn die Rede ist von Verspätungen, von ausgefallenen Zügen, kurz: von den Problemen der Deutschen Bahn, dann ist oft der Name Hartmut Mehdorn zu hören. Von 1999 bis 2009 hat er als Bahnchef den Staatskonzern auf Gewinnkurs gebracht – und wie manche meinen: kaputt gespart. Ein Vorwurf, den einer wie Mehdorn bis heute nicht auf sich sitzen lässt: “Das ist eine Behauptung und schlicht falsch und haltlos”, sagte der Manager nun der Deutschen Presse-Agentur. In dieser Woche wird er 80 Jahre alt (31. Juli).
Seinen Geburtstag werde er in Südfrankreich feiern, sagt Mehdorn. Dort besitzt er mit seiner französischen Frau ein Haus und einen kleinen Weinberg. Kinder und Enkel hätten ihren Besuch angekündigt. Der ehemalige Manager klingt entspannt. Berlin ist weit weg. Doch die Vorgänge bei der Bahn beschäftigten ihn auch im Ruhestand. Verantwortlich für die aktuelle Misere aus seiner Sicht: der Bund. “Der Staat hat seine Bahn-Infrastruktur über lange Jahre sträflich vernachlässigt”, sagt er.
Ob im Bahnvorstand, als Chef von Air Berlin oder auf der Chaos-Baustelle des Flughafens BER: Wo er hinkam, polarisierte Mehdorn, einer der bekanntesten Manager Deutschlands. Zupackend für die einen, Raubein für die anderen. Ein Napoleon-Bewunderer zwischen Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung. Mit starken Worten und Mut zu unbequemen Entscheidungen. Titel seiner Biografie: “Diplomat wollte ich nie werden.”
Zehn Jahre führte der Berliner die Deutsche Bahn. In dieser Zeit wuchs sie zum internationalen Transportkonzern heran, der Spediteur Schenker etwa kam hinzu, ein Drittel der 324.000 DB-Mitarbeiter ist heute im Ausland tätig. Aus operativ 1,5 Milliarden Euro Verlust pro Jahr wurden in den Mehdorn-Jahren 2,5 Milliarden Euro Gewinn.
Sein politisch vorgegebenes Ziel war der Börsengang. Doch die Finanzmarktkrise kam 2009 dazwischen. Ein Verfechter für die Teilprivatisierung des Konzerns bleibt Mehdorn heute noch. Die zehn erfolgreichsten Bahnen auf der Welt hätten eins gemeinsam, sagt er: “Sie sind börsennotiert, kundenorientiert, profitabel, pünktlich und sauber ohne staatlichen Einfluß.”
Doch um Kosten zu sparen, zog sich die Bahn unter Mehdorn aus der Fläche zurück. Strecken, Weichen und Überholgleise wurden stillgelegt. Heute spüren Fahrgäste an zahllosen Verspätungen, das die Eisenbahn gegen einen gewaltigen Sanierungsstau anbaut. Das Netz sei jahrelang vernachlässigt worden, sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Das sieht auch der ehemalige Konzernlenker so. Doch verantwortlich dafür sei der Bund gewesen. In seinen zehn Bahnchef-Jahren hätten sich die Investitionen des Konzerns im Vergleich zu den zwanzig Jahren davor verdoppelt. Die Regierung wiederum habe ihre Investitionen zwischen 2001 und 2008 nahezu halbiert. “Das einzige Land im Europaraum, dass nicht ausreichend in seine Bahn-Infrastruktur investiert hat, war Deutschland. Nicht das Bahnmanagement”, sagt Mehdorn.
Dass Wissing die Probleme bei der Bahn nun zur Chefsache erklärt hat, wäre bei ihm nicht passiert. “Es gibt auch für Unternehmen, die im Staatseigentum sind, klare Regeln, die Rolle der Gesellschafter, die Rolle des Aufsichtsrates und die Rolle der Geschäftsleitung.” Ein Minister komme da nicht vor. “Ich hätte das so nicht akzeptiert.”
Mehdorn stürzt schließlich über eine verheerende Affäre um Massenkontrollen von Mitarbeiterdaten. Schon im Rentenalter verschaffte er dann der trudelnden Air Berlin von 2011 bis 2013 neue Luft – bevor die Fluggesellschaft später doch pleite ging. Auf der BER-Baustelle kämpfte er von 2013 bis 2015 gegen viele Widerstände, schonte weder sich noch andere und sorgte für einen neuen Eröffnungstermin – der sich dann aber auch nicht halten ließ.
Als unvollendet ist die Karriere des Unruhegeistes Mehdorn deshalb beschrieben worden. Begonnen hatte sie in der alten Bundesrepublik. Manager durften damals noch Patriarchen sein und Flugreisen waren für viele ein schwer erfüllbarer Traum, als der Maschinenbauer 1964 bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken in Bremen anfing. Mehdorn ging zu Airbus, stieg in den Vorstand der damaligen Deutschen Aerospace auf, wechselte an die Spitze der Heidelberger Druckmaschinen, bevor Kanzler Gerhard Schröder ihn zum Bahnchef machte.
Mehdorn genießt die Aufmerksamkeit in dieser Position. Wo er hinkommt, wirbelt er Staub auf, provoziert, wenn es seinen Zielen dient. Als ein neues Fahrpreissystem eine wochenlange Kritikwelle auslöst, stampft Mehdorn es ein und sagt: “Wir haben verstanden, Asche auf mein Haupt.”
Mehdorn geht Konflikten selten aus dem Weg, kämpft aber mit offenem Visier, wie auch Kritiker bestätigen. “Wenn mir einer quer kommt, dem sage ich: ‘Sie sind ein Klotzkopf'”, hat er einmal gesagt. Er gefällt sich als Manager alter Schule und höhnt über die Jüngeren: “Heutzutage können Manager unter dem Teppich laufen, ohne eine Beule zu erzeugen.”
Voller Einsatz hat seinen Preis. Jahrelang machte Mehdorn kaum Urlaub. “In den Sommerferien habe ich die Familie ans Meer gebracht und dann weitergearbeitet”, verriet der Vater dreier Kinder einmal. Inzwischen habe er keine Aufsichtsratsmandate oder Ämter mehr inne, sagt er heute. Seine Familie, die zu seinem Geburtstag anreist, dürfte es freuen.