BERLIN | Seit einem halben Jahrhundert fährt Lokführer Klaus Rühmann S-Bahnen durch die Hauptstadt. Das ist halb so lang, wie es das Verkehrsmittel in Berlin überhaupt gibt.
Sein Platz im Zug ist vorn – und das seit 50 Jahren. So lange arbeitet Klaus Rühmann schon bei der Berliner S-Bahn. Zwar war der 67-Jährige nicht die ganze Zeit über Lokführer. Eine Voraussetzung gab es bei all seinen Positionen beim Unternehmen aber immer: im Führerstand eines Zuges sitzen zu können. “Ich habe mir innerhalb der S-Bahn immer Tätigkeiten gesucht, bei denen mein Führerschein erhalten bleibt”, sagt der 67-Jährige.
Damit sie ihre Fahrerlaubnis behalten, müssen Lokführer pro Jahr mindestens 100 Fahrstunden im Führerstand vorweisen. Wer nicht direkt im Fahrbetrieb tätig ist, müsste das nebenher stemmen. “Da ist man gut einen Monat weg, das macht nicht jeder mit”, sagt Rühmann. In seiner aktuellen Funktion als Teamleiter für die auszubildenden Lokführer im S-Bahnwerk Schöneweide kommt er aber oft genug zum Fahren.
Eigentlich hätte er schon vor zwei Jahren in Rente gehen wollen. Dann habe ihn seine Chefin gebeten, noch einige Jahre weiterzumachen. Viel Überzeugung brauchte es nicht. “Meine Arbeit ist mein Hobby”, sagt Rühmann. “Man findet hier seine Erfüllung.” Noch bis zum Frühjahr 2025 will er nun weiter machen. Dann kann er mit seiner Frau, die Lehrerin ist, gleichzeitig in den Ruhestand gehen.
Der Weg zur Berliner S-Bahn war für den gebürtigen Köpenicker vorgezeichnet. Schon der Vater und der Onkel waren Lokführer, später auch der Bruder. “Als kleine Kinder – da waren wir noch nicht in der Schule – sind wir, wenn der Vater gefahren ist, oft in Spindlersfeld aufgestiegen und bis Schöneweide mitgefahren. Dort absteigen, Eis essen und wieder zurück.”
1974, mit damals 17 Jahren, begann er seine Ausbildung zum Elektromonteur. Die Qualifizierung zum Lokführer erfolgte kurz danach. Wenn die S-Bahn am 8. August ihren 100. Geburtstag feiert, wird Rühmann seit mehr als der Hälfte dieser Zeit bei ihr gearbeitet haben.
Viele Umwälzungen haben er und das Unternehmen in diesen Jahren erlebt – besonders nach dem Fall der Mauer. “Nach der Wende, da hat sich stetig alles geändert, unsere Vorschriften und das Regelwerk.” Auch das enge, fast familiäre Verhältnis zwischen den Kolleginnen und Kollegen auf dem Betriebshof sei heute in der Form nicht mehr vorhanden.
Prägend sei diese Zeit aber auch im positiven Sinne gewesen. Zum einen, weil die marode DDR-Infrastruktur auf Vordermann gebracht wurde (“Das war wie eine Neugeburt”). Aber vor allem, weil Rühmann mit dem Zug plötzlich auch den anderen Streckenteil der Stadt kennenlernen konnte.
“Also der Tunnel der Nord-Südbahn zum Beispiel, das war meine erste Tat, als Lokführer da hindurchzufahren”, erinnert sich der 67-Jährige. “Ich fahre immer noch sehr gerne Tunnel. In Oranienburg tauchste ein und fährst quasi bis Wannsee. Da merkste gar nicht, wie die Zeit vergeht.”
Mit der Rente ist im Führerstand natürlich nicht Schluss für Klaus Rühmann. Er engagiert sich im Verein Historische S-Bahn in Erkner. Manche der historischen Fahrzeuge dort ist er schon zu deren Betriebszeit gefahren. Bei Ausfahrten ist somit klar, wer am Steuer sitzen wird. “Außerdem bin ich auch im Segelverein aktiv, habe ein Haus, zwei Kinder und Enkelkinder. Langeweile habe ich keine.”
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dpa / EVN