Tatra-Straßenbahn kommt in Dresden endgültig aufs Abstellgleis


DRESDEN | Eine Straßenbahnlegende rollt für immer ins Depot – zumindest im Linienverkehr sind die Tage der Tatra-Straßenbahn in Dresden gezählt. Am Samstag sind die letzten Fahrten geplant.

Endstation Museum: Wenn an diesem Samstag in Dresden die letzten Tatra-Straßenbahnen aus dem Linienverkehr genommen werden, geht eine Ära zu Ende. Die Bahnen aus der früheren Tschechoslowakei beherrschten das Straßenbild in der DDR. In Dresden kamen sie in der zweifarbigen Originallackierung „Rot-Creme“ auf die Schiene. „Das war die Hausfarbe von Tatra, man konnte sie auch in anderen Farben bestellen – so wie Leipzig in ‚Creme‘ -, aber das war etwas teuer“, erinnert sich Sven Wierick, der die Geschäftsstelle des Straßenbahnmuseums Dresden leitet und früher selbst Tatra-Bahnen durch Dresden steuerte.

Hergestellt wurden die legendären Tatra-Straßenbahnen bei der tschechoslowakischen Maschinenbaufirma CKD in ihrem Werk in Prag. An der Stelle der gigantischen Fabrik im Stadtteil Smichov steht heute ein riesiges Einkaufszentrum mit mehr als 180 Geschäften und Restaurants. Das einstige Arbeiterviertel hat sich zu einer der beliebtesten Bürolagen der Hauptstadt entwickelt. An die Industriegeschichte erinnern nur die vielen Jahrzehnte alten Tatra-Trams, die in Prag weiter fest zum Straßenbild gehören.

Im Sozialismus war die Tschechoslowakei im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe für den Straßenbahnbau zuständig. Doch kurioserweise basierten alle Serien bis zur Tatra T4 auf einer Konstruktion des kapitalistischen Erzfeinds: Vorbild waren die in den USA vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelten PCC-Wagen, deren Vorder- und Rückseiten ebenfalls abgerundet waren. Frantisek Kardaus, ein tschechischer Industriedesigner mit deutschen Wurzeln, perfektionierte die Gestaltung.

Die für die DDR bestimmten Tatra T4 unterschieden sich nur geringfügig von den bis heute in Prag fahrenden T3-Modellen. Sie waren 30 Zentimeter schmaler und konnten nicht angetriebene Beiwagen ziehen, wofür allerdings der Rahmen verstärkt werden musste. Die Leistung der vier Fahrmotoren wurde von 40 auf 43 Kilowatt erhöht. Bis zum Ende der Produktion dieser Modellreihe im Jahr 1987 wurden T4-Straßenbahnen auch nach Halle, Leipzig und Magdeburg sowie in Länder von Estland über die Sowjetunion bis Rumänien geliefert.

Das eckige Nachfolgemodell T6 konnte an diesen Erfolg nicht anknüpfen. Den Zusammenbruch des Ostblocks überlebte die Straßenbahnfertigung in Prag nur um wenige Jahre. Größter Hersteller in Tschechien ist heute Skoda Transportation aus der westböhmischen Industrie- und Bierstadt Pilsen (Plzen).

In Dresden begann das Tatra-Zeitalter 1967, die letzten Bahnen wurden in den 1980er Jahren geliefert. 1967 lösten sie die legendären „Hecht“-Wagen ab, die wegen ihrer Form so genannt wurden. Der Tatra konnte etwa 150 Leute mehr auf einen Schlag befördern und hatte noch andere Vorzüge – vor allem für den Fahrer. Dessen Kabine war nun abschließbar und hatte eine Heizung. Ein Gebläse sorgte auch im Winter für eine freie Frontscheibe. Fahrer und Fahrgäste konnten sich gleichermaßen über ein „zügiges Anfahrtsmoment“ freuen.

Wierick zufolge waren die Tatra-Bahnen für eine Lebensdauer von 20 Jahren ausgelegt. Sie fuhren aber weitaus länger. Bahnen mit dem Baujahr 1984 waren bis zuletzt im Einsatz. Pro Tag musste eine Bahn etwa 300 Kilometer zurücklegen – auf topographisch anspruchsvollem Terrain. Denn nicht wenige Dresdner Endhaltestellen befinden sich in bergigem Gelände. „Ersatzteile waren stets ein Problem, vieles wurde in Eigenregie hergestellt, auch von umliegenden Betrieben.“

2010 wurden die Bahnen schon einmal aus dem Liniendienst verabschiedet. „Sie waren nur noch Notfallreserve, wurden aber hin und wieder gebraucht“, sagt Wierick. Anders als früher habe man die alten Tatra- Wagen aber jetzt nicht mehr weiterverkaufen können. „Die Zeit für den Tatra ist vorbei. Die Generation ist durch.“ Zuletzt seien nur noch fünf Triebwagen und fünf sogenannte Trieb-Beiwagen gefahren.

Sven Wierick ist überzeugt davon, dass die Dresdner Einwohner ihre Straßenbahn lieben und deshalb mit etwas Wehmut auf den Samstag schauen. Auch die in Dresden geborene SPD-Politikerin Sabine Friedel räumt ein, dass sie die Tatra-Bahn vermissen wird. Sie könne sich sogar noch an den „Hecht“ erinnern. „Natürlich haben die Tatra-Wagen einen nostalgischen Wert.“ Aber jeder, der mit einem Kinderwagen oder einem lahmen Bein zusteigen wollte, werde der Nostalgie kaum etwas abgewinnen können. Es sei gut, dass es nun ganz moderne Bahnen gebe.

Friedel hofft aber, dass genau wie beim „Hecht“ die eine oder andere Tatra-Bahn zu besonderen Anlässen wieder aus dem Depot geholt wird und als Traditionsbahn unterwegs ist. Ganz verschwinden wird der Tatra ohnehin nicht. Ein Tatra fährt als Kinderstraßenbahn Lottchen durch die Stadt, ein weiteres umgebautes Exemplar schleift Schienen. Und auch ein Tatra mit Schneepflug bleibt erhalten.


dpa