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BERLIN | Es handelt sich um die größte Ausschreibung in der Berliner S-Bahn-Geschichte. Doch der Neustart hat sich mehrmals verschoben. Wie es weitergeht, entscheidet die Justiz.
Die größte Ausschreibung in der Berliner S-Bahn-Geschichte könnte in Teilen gegen das Vergaberecht verstoßen. Das machte das Berliner Kammergericht am Freitag zu Beginn seiner Verhandlung über die Ausschreibung der Länder Berlin und Brandenburg deutlich. Das Gericht soll das Prozedere der Ausschreibung beleuchten und bewerten, ob das Verfahren vergaberechtlich korrekt ist. Der französische Bahntechnik-Konzern Alstom kritisiert die Ausschreibungsmodalitäten und ist deswegen vor Gericht gezogen.
Die Vergabekammer des Landes Berlin war im Oktober 2022 zu der Einschätzung gelangt, dass das Vorgehen nicht zu beanstanden sei. Gegen diesen Beschluss legte Alstom beim Kammergericht Beschwerde ein. Nun ist das Kammergericht am Zug. Es ist um einen Kompromiss bemüht. Das Gericht unterbreitete den Beteiligten bei der mündlichen Verhandlung, die bis in den Abend ging, Formulierungsvorschläge dafür.
Über diese sollen beide Seiten in den nächsten Tagen beraten. Am 1. März soll die Verhandlung fortgesetzt werden, so die Vorsitzende Richterin Cornelia Holldorf. Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) teilte am Abend mit, das Vergleichsangebot werden “jetzt sorgfältig und prioritär geprüft”. “Für Berlin und Brandenburg ist klar, dass wir schnellstmöglich moderne, attraktive S-Bahn-Fahrzeuge und einen Ausbau der des Verkehrsangebots brauchen”, so Schreiner.
Das Kammergericht verhandelt über insgesamt 25 Rügen des Konzerns. Davon seien einige nach bisheriger Einschätzung begründet, andere nicht, erklärte die Richterin zum Auftakt der Verhandlung. Im Fokus stehen aus Sicht der Richter fünf Themenfelder – und in vier Fällen seien die Rügen nach vorläufiger Bewertung des Senats begründet, sagte Holldorf. So bemängelt Alstom die Kriterien, nach denen eingehende Angebote bewertet werden sollen. Auch das Gericht sehe ein Restrisiko, dass nicht zwingend das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhalte, hieß es.
Holldorf betonte, die Länder hätten sich ständig um ein vergaberechtlich konformes Verfahren bemüht. Dem Gericht gehe es darum, Berlin und Brandenburg bei diesem Vorgang zu unterstützen. Schließlich stehe das “Renommee der Länder auf dem Spiel”.
In dem Vergabeverfahren geht es um große Teile des Berliner S-Bahn-Netzes. Betroffen sind die Nord-Süd-Strecken und die Linien, die in Ost-West-Richtung über das Stadtbahn-Viadukt verlaufen. Die Ringbahn ist nicht enthalten. Gesucht wird ein Betreiber für die Zeit von 2029 bis in die 40er Jahre hinein. Bewerben können sich Anbieter für den Betrieb oder für Beschaffung und Instandhaltung der Fahrzeuge. Sie können sich auch um beide Optionen bemühen. Es geht um mehr als 1000 neue S-Bahn-Wagen. Bei dem Verfahren gab es bereits mehrere Verzögerungen. Derzeit endet die Frist für Angebote Ende März. Je nach Ausgang des Gerichtsverfahrens könnte sich der Zeitpunkt weiter verzögern.
Die Vergabe in Ausschreibungen war eine Reaktion auf die Krise, in die die S-Bahn ab 2009 nach Technikproblemen, Wartungsmängeln und Missmanagement geraten war. Die Deutsche Bahn betreibt das Berliner S-Bahn-Netz seit Jahrzehnten im Alleingang.
Um die Ausschreibungsmodalitäten wurde lange gerungen. Das Verfahren gilt als sehr komplex. Kritiker befürchten eine Zerschlagung der S-Bahn. Unternehmen sehen Wettbewerbsvorteile für die Deutsche Bahn.
dpa