Im Auftrag des Freistaats Bayern modernisiert DB Regio in den kommenden drei Jahren die bestehende Fahrzeugflotte der S-Bahn München. Dabei wird der Innenraum der 238 Fahrzeuge vom Typ ET 423 umgestaltet. Angesichts der stark wachsenden Bevölkerung im Großraum München ist es das wesentliche Ziel des Modernisierungsprojekts, die Kapazität der Fahrzeuge besser auszuschöpfen und die Betriebsstabilität zu erhöhen. So soll beispielsweise ein offeneres Raumkonzept mit breiteren Durchgängen den Passagierfluss verbessern. Der transparente Innenraum mit neuem Lichtkonzept sowie mehr Festhaltemöglichkeiten sorgen für zusätzliche Sicherheit. Neue, großflächige Monitore informieren künftig in Echtzeit über den Fahrtverlauf der Züge sowie über Umsteigemöglichkeiten, Störungen und Fahrplanänderungen im Rahmen von Bauarbeiten.
Über das Modernisierungsprojekt informierten am Donnerstag (6. Juli 2017) im Rahmen einer Pressekonferenz die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die den Regional- und S-Bahnverkehr im Auftrag des Freistaats plant, finanziert und kontrolliert, und die S-Bahn München, ein Betrieb der DB Regio AG.
Johann Niggl, Sprecher der Geschäftsführung der BEG, hob das rasante Wachstum im Großraum München als Ausgangspunkt des Projekts hervor: „Mit jeder neuen Studie werden die Prognosen zum Bevölkerungswachstum weiter nach oben korrigiert. Diese steigende Nachfrage trifft auf ein S-Bahn-System, das bereits am Kapazitätslimit angelangt ist. Erst mit Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke im Jahr 2026 werden aber mehr S-Bahnen durch München fahren können. Diese knapp zehn Jahre müssen wir überbrücken.“
Dafür muss vor allem der Innenraum der Fahrzeuge an die steigende Nachfrage angepasst werden. Nur so kann den Fahrgästen der S-Bahn München für diesen Zeitraum ein zeitgemäßes Fahrzeug angeboten werden.
„Wir haben das Auslaufen des bisherigen Verkehrsvertrags mit der DB Regio AG und die Verhandlungen zum Übergangsvertrag genutzt, um die Modernisierung auf den Weg zu bringen. Absolute Priorität bei diesem Modernisierungsprojekt haben mehr Kapazitäten und eine höhere Betriebsstabilität. Wir müssen so weit wie möglich die Situation vermeiden, dass Fahrgäste wegen überfüllter S-Bahnen nicht mitfahren können. Gleichzeitig wollen wir im Rahmen des Möglichen auch die Qualität weiter verbessern, zum Beispiel mit einem neuen Fahrgastinformationssystem“, erklärt Johann Niggl.
Umgesetzt wird die Modernisierung von der S-Bahn München, der die Fahrzeuge gehören. Den Auftrag dazu erteilte am Mittwoch der Aufsichtsrat der BEG.
Mit der Neugestaltung des Innenraums soll vor allem der Passagierfluss verbessert und damit die Kapazität der Fahrzeuge besser ausgeschöpft werden. Derzeit konzentrieren sich die Fahrgäste meist im Einstiegsbereich, während die Durchgänge zwischen den Sitzgruppen zu wenig genutzt werden. Dadurch kommt es auch häufig zu Verzögerungen beim Ein- und Ausstieg. Diese Sekunden summieren sich insbesondere auf der Stammstrecke zu deutlichen Verspätungen. Eine detaillierte Analyse des Fahrgastverhaltens ergab auch, dass selbst bei vollbesetzten Zügen viele Sitzplätze frei bleiben, etwa weil sie mit Gepäckstücken belegt sind oder Gepäck den Zugang versperrt. Ausgehend von diesen Erkenntnissen erarbeitete die BEG gemeinsam mit der S-Bahn München sowie der auf Industriedesign spezialisierten Agentur Neomind ein Konzept zur Umgestaltung der Fahrzeuge, das vielerlei Beschränkungen bestmöglich berücksichtigt, die es bei einer Modernisierung von Bestandsfahrzeugen zu beachten gilt. Das Modernisierungskonzept bezieht unter anderem die Ergebnisse von einschlägigen Experteninterviews, Marktforschungen und Fahrgastbefragungen mit ein.
Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann: „Der stetig wachsende Großraum München braucht eine leistungsfähige S-Bahn. Bis die Bestandsflotte ab Mitte der 2020er-Jahre sukzessive durch Neufahrzeuge ersetzt werden kann, stellt die Modernisierung sicher, dass die vorhandenen Kapazitäten der Fahrzeuge wesentlich besser ausgeschöpft werden. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für einen stabilen und zuverlässigen Betrieb, bis nach Eröffnung der 2. Stammstrecke deutlich mehr S-Bahnen im Großraum München fahren können.“
Offeneres Raumkonzept, weniger Blockaden, verbesserte Qualität
Im Rahmen der Modernisierung wird ein großzügigeres Raumkonzept umgesetzt. Konkret werden die Windfänge transparenter gestaltet und im Einstiegsbereich schmaler, um die Durchgänge zu den Sitzgruppen zu weiten. Künftig besteht die Möglichkeit, größeres Gepäck direkt neben dem Sitz abzustellen. In den veränderten Einstiegsbereichen sind zusätzliche und verbesserte Stehplatzmöglichkeiten mit Haltepilzen vorgesehen. Um dieses Raumkonzept umzusetzen, wird die Zahl der Sitzplätze reduziert, von 192 auf 166 Sitzplätze je Fahrzeug. Zudem wird ein Großteil der Sitze schwebend angebracht, um darunter zusätzlichen Stauraum für Gepäck zu schaffen. Durch den verbesserten Passagierfluss und die Möglichkeit, Gepäckstücke neben bzw. unter dem Sitz zu deponieren, kommt es zu weniger Blockaden, und die Zahl der tatsächlich genutzten Sitzplätze steigt. Im Ergebnis führen diese Maßnahmen zu einer besseren Verteilung der Fahrgäste über das gesamte Fahrzeug. Die Gesamtkapazität pro Fahrzeug erhöht sich von 544 auf 612 Plätze.
Der Mehrzweckbereich an beiden Enden der Fahrzeuge wird ebenfalls umgebaut, um Konflikte zwischen Radfahrern, Rollstuhlfahrern, Personen mit Kinderwagen und anderen Fahrgästen zu verringern. Zusätzlich zeigen Piktogramme auf dem Boden, welche Bereiche für welche Nutzung vorgesehen sind. Angrenzend an die beiden Führerstände wird ein Familien- und Gruppenbereich eingerichtet. Dort sind die Sitze als Eckbank angeordnet, so dass selbst größere Gruppen Platz finden. Große Piktogramme über den Türen machen die Mehrzweckbereiche bereits von außen deutlich erkennbar.
Über großflächige Monitore an den Decken wird ein neues Fahrgastinformationssystem die Passagiere über den Fahrtverlauf, Umsteigemöglichkeiten und Abweichungen vom Regelbetrieb auf dem Laufenden halten. Die Informationen werden in Echtzeit zur Verfügung stehen. So können die Fahrgäste, beispielsweise bei Störfällen auf ihrer Strecke, gegebenenfalls ihre Reiseroute kurzfristig und zügig ändern. Neue, digitale und farbige Anzeigen außen am Zug zeigen das Zugziel sowie wichtige Zwischenstationen an und verbessern so die Orientierung der Fahrgäste.
Für mehr Sicherheit sorgen Haltepilze im Einstiegsbereich und verbesserte Festhaltemöglichkeiten an den Sitzen. Der transparent gestaltete, vollständig einsehbare Fahrzeuginnenraum und der Einsatz moderner LED-Lichttechnik verbessern das Sicherheitsgefühl merklich.
Straffer Zeitplan
Die 238 Fahrzeuge vom Typ ET 423 wurden in den Jahren 2000 bis 2005 in Betrieb genommen. Der serienmäßige Umbau der Fahrzeuge erfolgt ab Frühjahr 2018. Neben der Modernisierung des Innenraums werden die Fahrzeuge technisch gewartet, außen neu lackiert und mit Graffitischutz versehen. Die Fahrzeuge werden nacheinander aus dem Betrieb genommen, in den Werken der DB Fahrzeuginstandhaltung in Nürnberg und Krefeld überarbeitet und anschließend wieder eingesetzt. Die Modernisierung der gesamten Fahrzeugflotte soll 2020 komplett abgeschlossen sein.
„Der Zeitplan ist straff, damit die Fahrgäste möglichst schnell in den Genuss der Verbesserungen kommen“, sagt Heiko Büttner, Geschäftsleiter der S-Bahn München, die das Modernisierungsprojekt im Auftrag der BEG umsetzt. „Wir wollen bereits im Frühjahr 2018 den Musterzug fertig haben und danach mit der serienmäßigen Modernisierung aller 238 Fahrzeuge beginnen. Es ist das größte Fahrzeugmodernisierungsprojekt der DB und ein toller Auftrag für unsere Werke Nürnberg und Krefeld der DB Fahrzeuginstandhaltung.“
Um die Stärke der Fahrzeugflotte während der Modernisierungsphase zu halten, werden parallel zu den heute bereits verkehrenden 15 Fahrzeugen des Typs ET 420 bis zu weitere 21 gebrauchte Fahrzeuge desselben Typs in die Flotte integriert. Sie werden nach Abschluss der Modernisierungsmaßnahmen die S-Bahn-Flotte verstärken. Die modernisierten Fahrzeuge des Typs ET 423 werden bis Mitte der 2020er-Jahre im Münchner S-Bahn-System fahren. Danach ist vorgesehen, sie sukzessive durch Neufahrzeuge zu ersetzen.
red/BEG