Die Schieneninfrastruktur in Deutschland ist veraltet und überlastet. Das gibt selbst die Bahn zu – um die Unpünktlichkeit der Züge zu rechtfertigen. Doch wie sieht es mit der Sicherheit aus?
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Wann werden alte Gleise, marode Bahnschwellen und fehlende Befestigungsmittel zu einer Gefahr für Menschen und Umwelt? Werden Bahngleise noch ausreichend gewartet und regelmäßig auf ihre Betriebsfähigkeit geprüft? Denn geht die Stabilität des Gleises unter einem fahrenden Zug verloren, sind Unfälle nicht ausgeschlossen. Die Deutsche Bahn verspricht, dass alles in Ordnung sei.
Bahn: Regelmäßige Inspektionen
Laut der Bahn gingen von alten Holzschwellen im Schienennetz aktuell keine Gefahren aus. Auf Nachfrage erklärte eine Bahnsprecherin gegenüber Bahnblogstelle, dass man die vorhandene Infrastruktur regelmäßig inspiziere, „um mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Inspektion, Wartung und Erneuerung der Infrastruktur erfolgen nach festgelegten strengen Regularien und vorgeschriebenen Fristen, die das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde überwacht.“
Bei der Behörde nachgefragt, hieß es, dass der zuständige Infrastrukturbetreiber mit seinem Instandhaltungsmanagement uneingeschränkt für den sicheren Betrieb auf seinem Netz verantwortlich sei. Grundlage ist hier das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG). „Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben führen die Unternehmen Inspektionen und Wartungsarbeiten eigenverantwortlich durch. Die Bahn verfügt in dem Zusammenhang über ein konzerneigenes Regelwerk, das – über bestehende Rechtsnormen und Vorschriften hinaus – auch die anerkannten Regeln der Technik sowie allgemeine Sicherheitsstandards im Eisenbahnbereich abbildet“, wie eine Sprecherin des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) mitteilte.
Funktion der Bahnschwellen
Die Schwellen als Teil des Gleises haben die Aufgabe, die einwirkenden Lasten in den Untergrund abzutragen und die Einhaltung der Gleisgeometrie sicherzustellen. Hierzu gehört auch eine kraftschlüssige Verspannung der Schiene in der Schienenbefestigung mit Hilfe der Schwellenschrauben und der Federringe. Gleisgeometrie und Verspannung würden im Rahmen der Regelinspektionen durch Gleismesszüge und Gleisbegehungen in regelmäßigen Abständen überprüft, betonte die EBA-Sprecherin. Falls Gleisgeometrie und Verspannung nicht mehr gegeben seien, würden entsprechende betriebliche Maßnahmen ergriffen – zum Beispiel durch die Einrichtung von Langsamfahrstellen oder durch den Einsatz von Spurhaltestangen zur Stabilisierung der Spurhaltefähigkeit des Gleises.
Solange die Verspannung und die Spurführung bei alten Holzschwellen – auch bei einem optisch schlechten Erscheinungsbild – noch gegeben sei, könnten diese weiter verwendet werden, hieß es von Seiten der Bonner Aufsichtsbehörde.
Holzschwellen nur noch auf wenigen Gleisabschnitten
Aktuell seien Holzschwellen auf noch rund 15 Prozent des rund 33.500 Kilometer langen Schienennetzes verbaut, wie die Bahnsprecherin mitteilte. Holzschwellen kämen zudem „nur in bestimmten Bereichen zum Einsatz, beispielsweise da, wo Betonschwellen zu hoch oder zu schwer wären.“
Zur Liegedauer erklärte das EBA auf Anfrage, dass diese von verschiedenen Faktoren abhänge, wie zum Beispiel verwendete Tränkungsmittel, Witterung und Belastung. „Daher gibt es keine generelle maximale Liegedauer für Holzschwellen. Solange die Funktionalität gegeben ist, können sie im Gleis verbleiben“, so die Behördensprecherin weiter.
Experten gehen davon aus, dass Holzschwellen eine Lebensdauer von maximal 45 Jahren oder weniger haben können. Jedoch gibt es unterschiedliche Angaben. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2021, geht die Deutsche Bahn bei behandelten Holzschwellen von einer Liegedauer von 15 Jahren aus.
Allerdings zeige sich in der Praxis auch, „dass Holzschwellen teilweise deutlich länger eingesetzt werden“, wie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität Berlin auf Nachfrage gegenüber Bahnblogstelle mitteilte. Besonders bei geringer belasteten und frequentierten Gleisen seien längere Liegedauern festzustellen. Die exakte Liegedauer sei daher auch von der allgemeinen Belastung der Gleisanlage abhängig.
Um die Lebensdauer zu erhöhen, gebe es laut einem Mitarbeiter der Technischen Universität Braunschweig Möglichkeiten, alte Holzschwellen wieder gebrauchsfähig zu machen – unter anderem durch die Nutzung von Spezialdübeln und Vergussmassen.
Wie aus der früheren Antwort der Regierung weiter hervorgeht, ist die Verwendung von Holzschwellen seit Jahren rückläufig. So wurden 2020 nur noch rund 40.000 Holzschwellen neu beschafft, 2023 bis 2025 sollten es einer Prognose zufolge höchstens 17.000 pro Jahr sein. Darüber hinaus wurden den Angaben nach zwischen 2017 und 2021 jährlich rund 700.000 Holzschwellen zustandsbedingt ausgebaut und entsorgt.
Vernachlässigte Instandhaltung kann Unfälle begünstigen
Auch wenn die Deutsche Bahn versucht, bei der Frage nach möglichen Sicherheitsrisiken zu beschwichtigen, so zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass es durchaus bereits Unfälle gab, die durch eine wohl vernachlässigte Wartung und Instandhaltung begünstigt wurden.
So entgleisten beispielsweise am 2. Juli 2013 vier Waggons eines Güterzuges während der Ausfahrt im Bahnhof Düsseldorf-Derendorf. Ein mit dem brennbaren Gas Propen befüllter Kesselwagen stürzte um. Aufgrund einer „erhöhten Explosionsgefahr“ mussten durch Polizei und Feuerwehr „weitreichende Sicherungsmaßnahmen“ im angrenzenden Stadtgebiet ergriffen werden, hieß es im Untersuchungsbericht der damaligen Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (heute: Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, BEU). Die Folge: Sachschäden von geschätzt rund 650.000 Euro.
Ursächlich für die Entgleisung vor elf Jahren war demnach „eine unzulässige Spurerweiterung“, „aufgrund des natürlichen biologischen Zerfalls mehrerer hintereinanderliegender Holzschwellen“, wie die Unfallermittler in ihrem Bericht nachwiesen. „Durch die zunehmende biologische Schädigung der Schwellen verringerte sich nach und nach auch die Fähigkeit der Schwellenschrauben die auftretenden Kräfte bei einer Zugfahrt aufzunehmen und weiterzuleiten.“ Eine kraftschlüssige Verbindung zwischen Schwelle, Schwellenschraube und Rippenplatte sei nach Ansicht der Unfallermittler nicht mehr gegeben gewesen. „Das Gleis konnte die durch den Fahrbetrieb entstehenden Kräfte nicht mehr aufnehmen.“
Der biologische Zerfall der Schwellen sei „ein Prozess, der sich über einen Zeitraum vieler Jahre entwickelt. Regelmäßige Inspektionen von fachkundigem Personal dienen dazu, diesen Prozess zu begleiten und den vorgefundenen Zustand zu bewerten.“ Bei rechtzeitiger Instandsetzung bzw. Erneuerung geschädigter Schwellen sei dies auch unkritisch. Unterblieben solche Maßnahmen jedoch, „kann es am Ende des Schädigungsprozesses zum plötzlichen Versagen der Spurhaltefähigkeit kommen“, hieß es weiter. Warum die bereits „sichtbar vorhandenen Mängel“ vom Inspektionspersonal nicht festgestellt bzw. dokumentiert wurden, konnte damals nicht abschließend geklärt werden.
Zu einem anderen Unfall aufgrund von Oberbaumängeln wegen des biologischen Verfalls von Holzschwellen soll es laut einem Untersuchungsbericht der BEU am 6. November 2010 im Bahnhof Hannover-Linden gekommen sein. Der schlechte Zustand des Gleises habe auch dort zu einem „Verlust der Spurhaltefähigkeit“ geführt.
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EVN