Wie funktionieren moderne Stellwerke? In Halberstadt, der Kreisstadt des Landkreises Harz in Sachsen-Anhalt, hatte im Juli 2015 eine kleine Personengruppe von Interessierten die Möglichkeit bei den Fachleuten direkt vor Ort nachzufragen. Die Deutsche Bahn öffnete kurzzeitig ihre sonst verschlossenen Türen und gewährte damit den Besuchern einen spannenden Blick hinter die Kulissen eines modernen Elektronischen Stellwerks (ESTW).
Rund 40.000 Einwohner zählt sie, die idyllisch wirkende mittelgroße Stadt. Wer hier allerdings historische mechanische Hebelbänke oder Drucktasten auf einem Gleisbildstelltisch erwartet mit denen die Signale gestellt und Weichen gelegt werden, sucht vergeblich. Denn Halberstadt beherbergt ein modernes Stellwerk von dem aus der Zugverkehr von Wernigerode über Halberstadt bis Güsten, Staßfurt und Giersleben rund um die Uhr gesteuert wird. Das Stellwerk befindet sich auf einem heutigen Stand moderner Leit- und Sicherungstechnik (LST) und wurde im Jahr 2007 in Betrieb genommen. Konzipiert und umgesetzt wurde es von der Firma Siemens als ESTW-R, ein Elektronisches Stellwerk für Regionalstrecken. Das hat den Vorteil, dass alle betrieblichen Anforderungen speziell auf den betreffenden Streckenbereich vor Ort angepasst werden konnten, was auch einer der Gründe dafür ist, warum das Stellwerk – wie einige andere regionale Stellwerke weiterhin nicht in einer überzentral operativen Betriebssteuerung zusammengefasst sind. Die dispositiven Aufgaben, also Entscheidungen über Zugüberholungen bei Verspätungen etc., übernimmt in Rücksprache mit den Fahrdienstleitern (Fdl) in Halberstadt jedoch der Bereichsdisponent in der rund 120 Kilometer entfernten und für den Regionalbereich Südost zuständigen Betriebszentrale (BZ) in Leipzig.
Aus dem ESTW Halberstadt werden heute insgesamt 59 Weichen und 162 Signale gesteuert. Entstanden ist das Stellwerk mit dem Ausbau der Strecke zwischen Halberstadt, Vienenburg und Güsten – Schönebeck/Salzelmen und ersetzt seither die früheren zumeist mechanischen Stellwerke, die damals zum Teil noch aus der Kaiserzeit stammten.
Die mehr als 70 Kilometer lange Regionalstrecke über Halberstadt ist durchgängig mit Ks-Signalen (Kombinationssignalen) und dem Zugsicherungssystem PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) ausgestattet. Im Bedienraum, der nur wenige hundert Meter vom eigentlichen Bahnhof Halberstadt entfernt liegt, sorgen Fahrdienstleiter an drei Arbeitsplätzen für den reibungslosen Zugverkehr im ländlichen Raum um die Stadt im nördlichen Harzvorland.
Gesteuert wird der Zugverkehr in einem ESTW mithilfe von Computerkomponenten. Der Fahrdienstleiter erkennt dabei die aktuelle Lage in seinem Bahnhof nicht mehr wie früher durch einen Blick aus dem Fenster sondern durch die Beobachtung der grafischen Oberflächen, die ihm den betrieblichen Zustand auf mehreren Monitoren darstellen. Anhand dieser Darstellung erkennt er die Positionen aller Züge, die Belegt- oder Freimeldung der Gleise, den Zustand der fernüberwachten Bahnübergänge, die Signalstellungen und die Lagen der Weichen in seinem zu verantwortenden Stellbereich. Die Bedienung und Sicherungslogik wird dabei durch eine Software, die auf den jeweiligen Stellwerksbereich angepasst ist, realisiert. Da für jeden Zug, der im Netzfahrplan vorgesehen ist, ein konkreter Zuglauf hinterlegt ist, kann die Steuerung des Zugverkehrs manuell per Mausklick oder Tastatureingabe am Bildschirmarbeitsplatz oder über eine so genannte Zuglenkung mit Gleisbenutzungstabelle sogar automatisch ausgeführt werden. Die Verantwortung über die Durchführung des sicheren und pünktlichen Zugverkehrs liegt aber jederzeit beim zuständigen Fahrdienstleiter.
In direkter Nähe zum Bedienraum sind auch die im Hintergrund arbeitenden Steuerungskomponenten und -systeme, wie der Zentralrechner sowie die Bereichsstellrechner und die einzelnen Stellteile der Signale und Weichen für den Bahnhof Halberstadt beheimatet. Im Technikraum werden die Befehle, die vom Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters bzw. von der Zuglenkung erteilt werden, vom Zentralrechner auf ihre Korrektheit überprüft, ausgeführt und per Busleitungen an die dezentralen Stellrechner und Stellteile der Außenanlagen verteilt. Von dort aus werden Weichen in die richtige Lage gebracht und der Fahrweg für eine Zugfahrt oder Rangierbewegung gesichert. Das Ergebnis ist eine sogenannte Fahrstraße, wobei man zwischen Zugstraße und Rangierstraße, die über unterschiedliche Sicherungsniveaus verfügen, unterscheidet.
Ist der Fahrweg frei, sind alle Fahrwegselemente in der korrekten Lage gesichert und verriegelt, so wird das Signal, das die Vorbeifahrt eines Zuges zulässt durch die Stellwerkstechnik auf Fahrt gestellt. Im Falle von betrieblichen Unregelmäßigkeiten hat der Fahrdienstleiter, wie in diesen Situationen üblich auch die Möglichkeit dem Triebfahrzeugführer (Lokführer) mithilfe eines Ersatzsignals oder mit einem schriftlichen Befehl, den er ihm per GSM-R über den digitalen Zugfunk diktiert, die Vorbeifahrt an einem gestörten oder Halt zeigenden Signal zu erlauben.
Die hier vor Ort arbeitenden Mitarbeiter gehören der DB Netz AG an und sind speziell auf ihre Einsatzstelle geschult. Das fachliche Wissen und die korrekte Umsetzung der betrieblichen Regeln wird dabei jährlich überprüft um die Hohe Sicherheit im Eisenbahnverkehr dauerhaft gewährleisten zu können.
Die Möglichkeit zum Einblick in das ESTW geht auf eine Idee des Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn AG für Sachsen-Anhalt, Alexander Kaczmarek, zurück. Es ermöglicht der DB für Ihre Kunden ein Stück weit „anfassbar“ zu sein und Eisenbahnfreunden, Kollegen und ehemaligen Bahnern die faszinierenden und komplexen Abläufe hinter der heutigen Stellwerkstechnik näher zu bringen.