Im Februar 2018 ereignete sich im Bahnhof Cuxhaven eine Zugkollision, bei der zwei Personen verletzt wurden und erhebliche Sachschäden entstanden. Wie der veröffentlichte Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung zeigt, war der Unfall durch “Arbeitsfehler im Rahmen der Fahrwegprüfung” verursacht worden.
Am späten Abend des 20. Februar 2018 kollidierte im Bahnhof Cuxhaven gegen 21 Uhr, auf der Weiche 16, der aus Richtung Bremerhaven kommende Güterzug DGS 59750 bei der Einfahrt nach Gleis 28 mit einem in Gleis 27, über das Grenzzeichen der Weiche hinaus, stehenden Triebfahrzeug (Tfz). Durch die Zugkollision wurden zwei Personen leicht verletzt. An den beteiligten Fahrzeugen entstanden erhebliche Sachschäden. Die Ladung des DGS 59750 wurde partiell zerstört bzw. stark beschädigt. An den oberbau- und signaltechnischen Anlagen entstanden ebenfalls teils beträchtliche Schäden. Die Höhe sämtlicher Sach schäden wird auf ca. drei Millionen Euro geschätzt.
Ursachen
Die Zugkollision wurde verursacht durch Arbeitsfehler im Rahmen der Fahrwegprüfung. Die Einfahrt des DGS 59750 wurde zugelassen, obwohl ein im benachbarten Gleis stehen des Tfz über das Grenzzeichen der einmündenden Weiche hinausstand und sich dabei im Einfahrweg des Zuges befand.
Bewertung durch die BEU
Der Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) kommt zu der folgenden Bewertung: “Die Zugkollision am 20. Februar 2018 im Bahnhof Cuxhaven wurde durch mehrere Arbeitsfehler des dort verantwortlichen Fahrdienstleiters (Fdl) verursacht. Dieser hatte vor der Zulassung der Zugfahrt des DGS 59750 den Fahrweg auf Freisein von Fahrzeugen nicht hinreichend geprüft und deshalb die über die Flankenschutzeinrichtung und das Grenzzeichen der Weiche 16 hinaus stehenden Tfz nicht bemerkt. Für das Prüfen des freien Fahrwegs durch Hinsehen und durch Auswertung der Melder der Gleisfreimeldeanlage war der Fdl in seinem Fahrwegprüfbezirk allein verantwortlich.
Offensichtlich hatte der Fdl nicht aus dem Fenster in Richtung der Gleise 27 und 28 geschaut. Hätte er dies getan, so hätte er das mit eingeschaltetem Spitzensignal in Gleis 27 stehende Tfz, trotz der recht großen Entfernung, mit bloßem Auge erkennen können. Die Sichtverhältnisse waren in Verbindung mit der eingeschalteten Gleisfeldbeleuchtung hinreichend gut.
Bereits vor dem Bespannen des EK 53681 hätte dem Fdl klar sein müssen, dass die beiden Tfz den Flankenschutzraum besetzen werden. Schließlich stand der erste Wagen dieses Zuges unmittelbar vor der Flankenschutzeinrichtung, dem Schutzsignal Hs27. Mit dem Bespannen des Zuges musste zwangsläufig der Flankenschutzraum besetzt sein, auch wenn nur ein Tfz für die Zugfahrt zum Einsatz gekommen wäre. Mit dem Besetzen des Flankenschutzraums hinter dem Signal Hs27 hätte der Fdl die Zugfahrt des DGS 59750 nach Gleis 28 bereits nicht mehr zulassen dürfen, selbst wenn die Tfz nicht über das Grenzzeichen der Weiche 16 hinausgestanden hätten.
Nach dem Bespannen des Wagenzuges in Gleis 27 hätte der Fdl bspw. das Zurückdrücken des Zuges bis hinter das Signal Hs27 veranlassen können. Schließlich war am Ende des Gleises 27 noch ausreichend Platz. Da er dies aber nicht tat, hätte er u.a. am Fahrstraßenhebel b28 eine Hilfssperre anbringen müssen. Diese hätte ihn vor dem folgenschweren Fehler, der Einfahrt des DGS 59750 nach Gleis 28 mit Fahrtstellung des Esig B zuzustimmen, geschützt. Zudem hätte er auch am Weichenhebel der Weiche 16 eine Hilfssperre anbringen müssen. Schließlich war die Weiche durch das vordere Tfz bereits besetzt. Besetzte Weichen sind gegen Umstellen durch Hilfssperren zu sichern. Dadurch wäre ein Umstellen der Weiche 16 von der Linkslage (nach Gleis 27) in die Rechtslage (nach Gleis 28) verhindert worden. Folglich hätte der Fdl auch nicht die Einfahrzugstraße für DGS 59750 nach Gleis 28 einstellen können.
Die Gründe, die zu der fehlerhaften Arbeitsausführung des Fdl führten, sind der BEU nicht bekannt. Eine anhaltende Arbeitsüberlastung scheidet wohl als mögliche Ursache aus. Der Fdl hatte seinen Dienst um 19:00 Uhr übernommen. Zum Ereigniszeitpunkt war er also erst zwei Stunden im Dienst. Außerdem hatte der Fdl nach dem Bespannen des Zuges in Gleis 27 bis zum Eintreffen des DGS 59750 ca. eine Stunde Zeit, die Situation zu erfassen und entsprechende Maßnahmen durchzuführen. In dieser Zeit wurden die beiden Tfz des EK 53681 nicht mehr bewegt.
LESEN SIE AUCH:
Unfallgutachter bemängeln „gewisse Oberflächlichkeit und Nachlässigkeit“ beim Bahnbetriebspersonal
Der sich gleichzeitig nähernde Reisezug der Metronom Eisenbahngesellschaft GmbH sollte den Fdl wohl auch nicht so stark beansprucht haben, dass er deshalb das Prüfen des freien Fahrwegs, als grundlegende Voraussetzung für die Zulassung einer Zugfahrt, plötzlich vergaß. Ob der Fdl eventuell anderweitig abgelenkt war, wurde nicht bekannt.
Die BEU geht davon aus, dass der Fdl seinen Fahrwegprüfbezirk und damit auch die Grenzen der Freimeldeanlagen in den Gleisen 27 und 28 kannte. Er war schließlich seit gut drei Jahren als Fdl in Cuxhaven tätig. Auch wenn die Angaben zu diesen Grenzen im Bebu schlichtweg falsch waren, so war die Lage der Zählpunkte für den Fdl aus dem Signallageplan korrekt ersichtlich. Darüber hinaus hätte er, im Laufe seiner Dienstzeit auf dem Stellwerk, beim Beobachten der Melder feststellen können, dass die Angaben im Bebu zu den Grenzen der Gleisfreimeldeanlagen nicht mit der tatsächlichen Lage der Zählpunkte über einstimmen.
Der Tf des DGS 59750 fuhr seinen Zug mit einer Geschwindigkeit von ca. 63 km/h am Esig B vorbei. Erlaubt war wegen der Signalstellung Hp2 nur die Langsamfahrt mit 40 km/h. Ob sich der Tf dabei von der Aufforderung des Fdl „gib ihm die Sporen“ oder von der Angabe von 60 km/h im Fahrplan seines Zuges leiten ließ, die nur bei Signalstellung Hp1 gelten würde, ist nicht bekannt. Die BEU sieht diese unzulässige Geschwindigkeitsüberschreitung dennoch nicht als ursächlich an, da der Tf den Zug bereits kurz vor Erkennen der Gefahrenstelle auf die erlaubte Geschwindigkeit von 40 km/h heruntergebremst hatte. Der Tf konnte den Unfall nicht verhindern, da er bei der Fahrt durch den Weichenbereich der Einfahrzugstraße das Zielgleis erst relativ spät erkennen konnte. Als er dann sah, dass die Spitze des Zuges im Gleis 27 bis in den Fahrweg seines Zuges hineinreichte, versuchte er die Gefahr durch eine Schnellbremsung abzuwenden. Die Schnellbremsung wurde jedoch auf Grund der physikalischen Gegebenheiten nicht mehr vor der Kollision wirksam. Der DGS 59750 prallte deshalb mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h auf den in Gleis 27 stehen den Zug EK 53681.
Der Tf des EK 53681, der zum Zeitpunkt des Unfalls noch mit der Zugfertigstellung seines Zuges beschäftigt war, konnte das Ereignis ebenfalls nicht verhindern. Er war nach Auffassung der BEU auch nicht ursächlich an dem Unfall beteiligt. Einen Verstoß gegen die Regel, wonach der Tf das Überstellen des Signals (führendes Fahrzeug steht über das Signal, mit dem die Zustimmung zur Abfahrt erteilt wird, hinaus) dem Fdl zu melden hat, war nicht gegeben. Diese Regel dient dazu, dass der Fdl den Tf informieren muss, wenn der Fdl das Signal stellt und damit die Zustimmung zur Abfahrt er teilt, weil der Tf das Signalbild von hinten nicht erkennen kann. Hier hätte es gereicht, wenn der Tf den Fdl vom Überstellen des Schutzsignals Hs27 mit der Fertigmeldung des Zuges unterrichtet hätte. Da die Zugvorbereitung jedoch noch nicht abgeschlossen war, hatte der Tf noch keine Fertigmeldung an den Fdl gegeben. Folglich musste auch die Meldung für das Überstellen des Signals noch nicht gegeben werden.
Ungeachtet dessen hätte der Fdl dieses Überstellen des Schutzsignals auch selbst erkennen können. Die Spitze des vorderen Tfz stand schließlich nicht nur ein oder zwei Meter über die Flankenschutzeinrichtung hinaus, sondern mit zwei vollen Loklängen, also ca. 32 m.
Weitere Regeln der Fahrdienstvorschrift oder des Betriebsregelwerks, wie bspw. das Abstellverbot von Fahrzeugen beim Rangieren oder das Abstellen von Tfz generell, sind hier nicht anzuwenden. Auch die Regel, wonach der Tf dem Fdl das Abstellen von Fahrzeugen zu melden hat, kommt hier nicht in Betracht. Die Fahrzeuggruppe war nicht in dem Sinne abgestellt. Die Zugvorbereitung war im vollen Gange. Ein Bewegen der Fahrzeuge ohne entsprechende Vorbereitung war weder zulässig noch möglich.
Der Fdl war allein für das Prüfen des freien Fahrwegs in seinem Fahrwegprüfbezirk verantwortlich. Aus diesem Grund sind auch nur seine Arbeitsfehler ursächlich für die Zugkollision im Bahnhof Cuxhaven.”
red/BEU
Titelfoto/Quelle: BEU