Die Europäische Kommission hat am Freitag eine eingehende Prüfung eingeleitet, um die geplante Übernahme von Alstom durch Siemens nach der EU-Fusionskontrollverordnung zu prüfen. Die Kommission hat nach eigenen Angaben Bedenken, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb im Bereich der Zulieferung mehrerer Arten von Schienenfahrzeugen und Signalsystemen beeinträchtigen könnte.
Siemens und Alstom sind weltweit führende Player im Schienenverkehr. Beide Unternehmen verfügen über ein breites Produktportfolio und stehen bei Ausschreibungen für die Produktion und Zulieferung von Hochgeschwindigkeits-, Fern- und Nahverkehrszügen (rollendes Material) und Signaltechniklösungen im Wettbewerb. Bei dem geplanten Vorhaben würden sich die beiden größten Anbieter von Rollmaterial und Signaltechniklösungen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zusammenschließen. Dies hätte aus sich der Brüsseler Wettbewerbshüter nicht nur in Bezug auf die Unternehmensgröße, sondern auch auf die geografische Reichweite ihrer Tätigkeiten entscheidende Auswirkungen.
“Züge und die entsprechende Signaltechnik sind für den Verkehr in Europa von zentraler Bedeutung”, erklärt die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager und ergänzt: “Die Kommission wird daher prüfen, ob die geplante Übernahme von Alstom durch Siemens dazu führen könnte, dass die Auswahlmöglichkeiten von europäischen Eisenbahnunternehmen in Bezug auf Zulieferer und innovative Produkte stark eingeschränkt werden und die Preise steigen, was sich letztlich zum Nachteil von Millionen Europäerinnen und Europäern, die täglich beruflich oder privat den Schienenverkehr nutzen, auswirken könnte.”
Die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission
Gegenwärtig hat die Kommission Bedenken, dass der geplante Zusammenschluss den Wettbewerb auf den Märkten, auf denen das neu entstehende Unternehmen tätig wäre, beeinträchtigen würde. Insbesondere befürchtet die Kommission, dass der geplante Zusammenschluss bei Ausschreibungen für Rollmaterial und Signaltechnik aufgrund des niedrigeren Wettbewerbsdrucks zu höheren Preisen, einer geringeren Auswahl und weniger Innovation führen könnte. Dies würde laut Kommission möglicherweise zulasten der Eisenbahnverkehrsunternehmen und der Schieneninfrastrukturbetreiber gehen.
Laut Mitteilung der Kommission habe eine Vorprüfung folgendes ergeben:
- In Bezug auf das rollende Material würde der geplante Zusammenschluss einen äußerst starken Wettbewerber aus dem Markt beseitigen und die Zahl der Zulieferer in Europa verringern. Für Hochgeschwindigkeitszüge hat die Kommission die Auswirkungen des Vorhabens sowohl innerhalb des EWR als auch weltweit geprüft (mit Ausnahme von China, Japan und Südkorea, die offensichtlich Beschränkungen für Einfuhren von ausländischen Zulieferern eingeführt haben). Auf beiden Märkten würde das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen zum unangefochtenen Marktführer aufrücken, der mehr als dreimal so groß wäre wie sein engster Wettbewerber. Das neu entstehende Unternehmen würde auch zum EWR-Marktführer bei Fernverkehrszügen (einschließlich der Regionalzüge) und bei U-Bahnen avancieren. Außerdem könnten die Wettbewerber in der Branche angesichts der Erfolgsbilanz der beteiligten Unternehmen nach einem entsprechenden Zusammenschluss kaum mit dem neu entstehenden Unternehmen und seinem Rollmaterialbestand mithalten.
- In Bezug auf Signaltechniklösungen würde das Vorhaben einen äußerst starken Wettbewerber aus mehreren Signaltechnikmärkten im Fern- und Nahverkehr herausdrängen. Das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen würde somit zum unangefochtenen Marktführer aufrücken und einen Marktanteil erreichen, der den des engsten Konkurrenten um das Dreifache übersteigen würde. Auch müsste es wohl nicht mit nennenswertem Wettbewerbsdruck rechnen.
Die EU-Wettbewerbshüter wenden sich ungewöhnlich deutlich gegen das von Siemens-Chef Joe Kaeser bislang gebrachte Argument, dass sich die beiden europäischen Zughersteller verbünden müssten, um gegen den chinesischen Branchenriesen CRRC zu bestehen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist sich Brüssel sicher, dass das Vordringen neuer Player, insbesondere chinesischer Anbieter, in absehbarer Zukunft als eher unwahrscheinlich einzustufen sei.
Die Kommission werde nun eine eingehende Prüfung der Auswirkungen des Vorhabens durchführen, um festzustellen, ob sich ihre anfänglichen wettbewerbsrechtlichen Bedenken bestätigen könnten. Ein Beschluss wird bis spätestens zum 21. November 2018 erwartet.
red