Mit der Digitalisierung des gesamten Schienennetzes will die Deutsche Bahn die Kapazitäten im Zugverkehr um bis zu 20 Prozent erhöhen und damit täglich tausende zusätzliche Züge auf die Strecke bringen. Nach Ansicht von DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla sind das Zugleitsystem ETCS (European Train Control System), der zukünftige Einsatz digitaler Stellwerke und die funkbasierte Betriebssteuerung die Grundlage für einen starken Schienensektor. Für die Deutsche Bahn sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Potenziale der digitalen Technologien systematisch zu nutzen.
Die Deutsche Bahn ist sich sicher, digitale Stellwerke und die ETCS-Technologie sind die Grundlage für einen deutlich effizienteren Bahnbetrieb sowie ein Plus an Qualität, Verlässlichkeit und Pünktlichkeit. Verspätungsminuten, die aus der heutigen Leit- und Sicherungstechnik herrühren, würden reduziert. Ältere Stellwerke, die zunehmend störanfällig und in unzähligen Bauarten über die Republik verteilt sind, sollen durch innovative Technik ersetzt werden. Dies spare langfristig Kosten in Millionenhöhe und reduziere die Aufwendungen für Betrieb und Instandhaltung.
„Wir werden einen noch nie dagewesenen Entwicklungsschub verwirklichen: mehr Züge, zudem pünktlicher und noch umweltfreundlicher. Das ist ein zentraler Baustein, um das verkehrspolitische Ziel ‚mehr Verkehr auf die Schiene zu holen‘ umzusetzen“, sagte DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla bei der Vorstellung des Zukunftsprogramms „Digitale Schiene Deutschland“ im Rahmen des Symposiums Wettbewerb und Regulierung in Berlin.
Rund 250 Experten aus der europäischen Verkehrsbranche, aus Politik und Verbänden diskutierten das Vorhaben. Pofalla rief den Bahnsektor dazu auf, diese Aufgabe gemeinsam rasch anzupacken: „Damit überführen wir die Eisenbahn mit ihren einzigartigen Potenzialen in eine starke Zukunft. Eisenbahn in Deutschland wird wieder zur Hochtechnologiebranche. ‘Digitale Schiene Deutschland’ ist ein Programm für den gesamten Sektor.“
Bundesregierung beauftragt Machbarkeitsstudie
Die Bundesregierung hat eine Machbarkeitsstudie zum Ausbau der neuen funkgesteuerten Signaltechnik ETCS und zur Einführung digitaler Stellwerke beauftragt, die bis Mitte 2018 die technische Umsetzung, Zeitplan, Finanzierung sowie den volkswirtschaftlichen Nutzen aufzeigen soll.
Zunächst seien für den Ausbau von ETCS und digitaler Stellwerke große Anstrengungen der öffentlichen Hand, der Bahnen und der Industrie erforderlich, sagte Pofalla. „Das wird aber sehr gut angelegtes Geld sein, denn alle profitieren: Der enorme Innovationsschub nutzt den Kunden aller Eisenbahnen in Deutschland, dem Wirtschaftsstandort Deutschland und auch dem Klima. Ein leistungsfähigerer Bahnsektor bedeutet weniger Verkehr auf der Straße, weniger Staus, weniger Feinstaub und einen deutlich verringerten CO2-Ausstoß.“
DSTW soll Altstellwerke und ESTW ersetzen
Die bestehende und teils noch sehr alte Stellwerkstechnik, die in manchen Bereichen noch im Einsatz ist, ist robust und sicher – aber aus Sicht der Instandhaltung teuer. Angesichts steigender Transportmengen, die die Schiene in Zukunft bewältigen soll, muss die alte Technik ersetzt werden. Die rasante Entwicklung digitaler Technologien – von intelligenter, lernender Software über hoch entwickelte Sensorik, leistungsfähige Satellitenortungssysteme bis hin zu hoher Datenkonnektivität und Datenverarbeitungskapazität – eröffnen für die Eisenbahn völlig neue Möglichkeiten, um den Zugbetrieb grundlegend zu modernisieren.
Das Digitale Stellwerk (DSTW) steht für die neueste Generation von Stellwerken und ist technologisch der Nachfolger des Elektronischen Stellwerkes (ESTW). Beide unterscheiden sich vor allem in der Bedienung von Weichen, Signalen und Fahrstraßen. Bei beiden Stellwerkstypen prüfen und verarbeiten redundante Rechnersysteme die Stellbefehle der Fahrdienstleiter. Die Befehle der Rechner eines ESTW werden in konventioneller elektrischer Schalttechnik durch Kabelbündel an Weichen, Signale und Bahnübergänge übermittelt. Ein DSTW hingegen übermittelt die Stellbefehle digital an Weichen und Signale. Der Vorteil sei eine deutlich höhere Stellentfernung durch die Verbindung per Datenleitung. Beim DSTW entfällt daher die bisher individuelle Verbindung vom Stellwerk zu jedem einzelnen Stellelement – Weichen, Signale, Gleiskontakte, Bahnübergänge. Dies ermögliche nach Unternehmensangaben die Standardisierung von Komponenten, eine einfachere Instandhaltung, stabilere Datenleitungen und größere Bedienbereiche.
Züge im deutschen Streckennetz sollen künftig über Funk gesteuert werden: Dies soll das europäische Zugleit- und Zugsicherungssystem ETCS – wie es bereits auf der neuen Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München zum Einsatz kommt – ermöglichen. Der volle Nutzen von ETCS ergibt sich aus der Verbindung mit der digitalen Stellwerkstechnik. Stellwerke, die heute noch in zahlreichen Bauarten – von Kaisers Zeiten bis zum Elektronischen Stellwerk – über die Republik verteilt sind, sollen sukzessive durch die innovative Technik ersetzt werden und ermöglichen so einen verlässlicheren und effizienteren Bahnbetrieb. Daneben könnten sich, so die Bahn, Kosteneinsparungen in dreistelliger Millionenhöhe im Betrieb und in der Instandhaltung ergeben.
Bis 2030 rund 80 Prozent des Netzes ohne Signale
Nach ersten Planungen könnten rund 80 Prozent des deutschen Schienennetzes bis 2030 digital (ohne Signale) betrieben werden, ist sich die Bahn sicher. Um möglichst schnell Effekte zu erreichen, sollen nach Vorgabe der EU die Wirtschaftsräume entlang verkehrlich wichtiger Korridore – im sogenannten Transeuropäischen Netz (TEN) – zuerst ausgestattet werden. So soll bis 2022 der 1.450 Kilometer lange Korridor Rhein—Alpen ausgerüstet werden. Mehr als die Hälfte der Grenzübergänge zu den europäischen Nachbarstaaten auf den europäischen Korridoren sollen zu diesem Zeitpunkt mit ETCS ausgerüstet sein.
red/DB