Bahnverkehr: Gefahr eines Erdrutsches ist im Rheintal immer da


Fels- und Erdrutsche kennt das Mittelrheintal nur zu gut. Was bedeutet das nach dem tödlichen Unglück in Baden-Württemberg für die Bahnstrecke, auf der auch viel Gefahrgut transportiert wird?

An den Felssturz im März 2021 in der Nähe des weltberühmten Loreley-Felsens erinnert sich Uwe Schwarz noch genau. “Wir haben Glück gehabt. Das war am helllichten Tag. Ich hatte zehn Minuten später die Information und konnte gleich alles sperren lassen”, berichtet der parteilose Ortsbürgermeister von Kestert im Welterbe Oberes Mittelrheintal. Erst rund sieben Wochen später war die rechtsrheinische Bahnstrecke zumindest eingleisig wieder befahrbar.

“Die Menschen leben damit seit Generationen”, sagt der Stadtbürgermeister von St. Goar auf der anderen Rheinseite, Falko Hönisch. Preußen habe ja schon 1859 mit dem Bahnbau im Rheintal begonnen und auch wirtschaftliche Power in die Region gebracht.

Zum schlimmsten Zugunfall bei St. Goar sei es 1923 gekommen: Ein Zug entgleiste und stürzte in den Rhein, mindestens 29 Menschen ertranken, wie der SPD-Politiker berichtet. Ob damals auch ein Unwetter der Auslöser war, sei ihm aber nicht bekannt.

Stark- und Hochwasserschutzkonzepte sind ein Dauerthema

Im September 2011 entgleiste ein Intercity mit 800 Fahrgästen zwischen St. Goar und Fellen nach einem Erdrutsch. Der Lokführer brach sich das Bein, zehn Passagiere und vier Zugbegleiter wurden leicht verletzt. Die Bahnstrecke war fünf Tage lang gesperrt.

Es sei einigermaßen glimpflich ausgegangen, sagt Hönisch. “Das Thema ist aber latent durchaus da.” Stark- und Hochwasserkonzepte würden ständig weiter entwickelt – außerdem würde viel getan, etwa die Säuberung von Bachläufen.

Der Bürgermeister verweist auch auf die Hangsicherung der Bahn – mit teils riesigen Stahlfangnetzen. Aus Sicherheitsgründen sei er auch dagegen, direkt neben und unter die Bahngleise eine neue Kita zu bauen, wie es die Opposition wolle.

“Angst nimmt zu”

Traumatisiert ist Kestert gut vier Jahre nach dem Felssturz nicht, wie Schwarz sagt. Verletzt wurde niemand, als an dem Steilhang nach einem Unwetter tonnenschwere Schieferplatten auf die Gleise auf der Strecke Wiesbaden – Koblenz krachten. “Aber die Angst nimmt zu, dass einer der vielen Güterzüge mit Gefahrgut mal aus den Gleisen springt”, berichtet der Ortsbürgermeister. Die 650-Einwohner-Gemeinde liegt direkt an Europas meistbefahrener Güterzugstrecke.

Der Fels war damals rund 300 Meter vor der Ortsgrenze Richtung Süden abgerutscht, bis auf die Bundesstraße 42. “Das war eine große Herausforderung”, erinnert sich Schwarz. Die Gemeinde musste den Schülertransport und den Verkehr für die Pendler organisieren. Und bei der Bahn hätten sie hart dafür kämpfen müssen, dass eine betroffene Unterführung wieder so hergestellt wurde wie vor dem Felssturz: für Autos und Fußgänger nutzbar.

Zur Sicherung des Steilhangs, an dem es zu dem Felssturz gekommen war, errichteten Experten an den Gleisen einen 6 Meter hohen und 100 Meter langen Schutzwall. Kletterer befestigten an 620 Ankern zusätzliche, insgesamt 2.100 Quadratmeter große Netze.

Immer wieder verschüttet Erde Bahngleise und Straßen

Zu Behinderungen im Bahn und Straßenverkehr kommt es in Rheinland-Pfalz bei heftigem Regen und Erdrutschen immer wieder.

Meist ging das aber glimpflich aus. Nicht so in Bacharach, wo im Juni 2016 ein Regionalzug bei einem Unwetter entgleiste und zehn Menschen verletzt wurden, darunter der Lokführer. Der Zug war zwischen Koblenz und Frankfurt unterwegs.

Die Bahnstrecke Bad Kreuznach – Bingen und die angrenzende Bundesstraße 9 waren im September 2024 von einem Erdrutsch betroffen. Im November 2023 konnten zwischen Norheim und Staudernheim (Kreis Bad Kreuznach) aus dem gleichen Grund zeitweilig keine Züge mehr fahren.

Im Juli 2019 hatte es St. Goarshausen getroffen. Nach einem Geröllabgang waren die Bahngleise etwa einen Tag blockiert. Gut ein Jahr hatten sich nach Starkregen in der Eifel Erdmassen gelöst und waren am Wilseker Tunnel auf die Gleise gerutscht. Ein Zug fuhr in die Schlammlawine und entgleiste. Der Lokführer, der keine Fahrgäste an Bord hatte, blieb unverletzt.

Eisenbahngesetz regelt Zuständigkeit

Fragt sich, wer eigentlich für die Sicherheit von Bahnstrecken zuständig ist. Das Eisenbahn-Bundesamt in Bonn verweist auf das Allgemeine Eisenbahngesetz. Demzufolge seien Eisenbahnunternehmen uneingeschränkt dafür verantwortlich, den Betrieb sicher zu führen.

Fahrzeuge und Infrastruktur müssten in einem “betriebssicheren Zustand” gehalten werden. Dafür müsse das verantwortliche Unternehmen jederzeit alle erforderlichen Maßnahmen treffen und gegebenenfalls auf gefährliche Ereignisse oder neue Erkenntnisse aus dem laufenden Betrieb von sich aus reagieren.

Die Bahn-Tochter DB InfraGo inspiziere und warte ihre Anlagen eigenverantwortlich, erklärte das Eisenbahn-Bundesamt. Es gebe etwa Prüfungen mit Gleismessfahrzeugen, Gleisbegehungen, Gleisbefahrungen oder Schieneninspektionen.

Mit Klimawandelfolgen beschäftigt sich ein Forschungszentrum

Mit Auswirkungen des Klimawandels und von Extremwetter auf Eisenbahninfrastruktur befasst sich unter dem Dach des Eisenbahn-Bundesamtes das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung. “Dabei geht es auch um sogenannte gravitative Massenbewegungen, zu denen auch Erdrutsche gehören”, teilte das Eisenbahn-Bundesamt auf Anfrage mit.

Das Zentrum hat Hinweiskarten zu verschiedenen Naturgefahren erstellt. Eine Karte zu Hang- oder Böschungsrutsche entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts, wie das Bundesamt erklärte. Abgebildet wird in der Karte das Gefahrenpotenzial, das sich unter anderem aus der Neigung des jeweiligen Hangs und der Art des dortigen Gesteins ergibt. Zu sehen ist, dass es an Strecken etwa im Rhein-, Mosel- und Lahntal an verschiedenen Stellen die Gefahr von Hangrutschen gibt.

In einem Fachartikel aus dem Jahr 2023 verwies das Forschungszentrum explizit auf den Rutsch in Kestert. Darin heißt es unter anderem: “Verglichen mit dem Straßenverkehr bergen Massenbewegungen identischer Größe für den Schienenverkehr aufgrund der festen Fahrspur, des längeren Bremswegs und der Zuglänge ein höheres Risiko für Schäden.” Kenntnisse über gefährdete Bereiche, über vorbeugende Maßnahmen und zu erwartende Änderungen in der Intensität und Häufigkeit von Erdbewegungen im Zuge des Klimawandels seien daher von großer Bedeutung für einen resilienten Schienenverkehr.

Es sei davon auszugehen, dass meteorologische Ereignisse, die sogenannte Massenbewegungen auslösen können, in Zukunft häufiger auftreten. Daher sei es nötig, das Bewusstsein und die Kenntnisse über solche Prozesse im Bahnsektor stärker zu verankern.

Pro Bahn will ein besseres Warnsystem

Der Fahrgastverband Pro Bahn fordert ein sogenanntes Fibre-Optic-System. Dabei könnten mittels Glasfaser Vibrationen und Erschütterungen am Gleis unmittelbar erkannt und dadurch Fahrdienstleiter und Lokführer frühzeitig gewarnt werden, sagt der Landesvorsitzende Noah Wand.

Wegen der zunehmenden Unwetterlagen müsse auch die Gesamtbewertung solcher Gefahren überdacht und mehr in Drainagen, Stützmauern und Fangnetze investiert werden. Das für Infrastruktur vorgesehene Geld aus dem Sondervermögen dürfe nicht für andere Zwecke umgewidmet werden, sondern müsse der Verbesserung der Infrastruktur zugutekommen.

“Es wäre töricht, bei Unwettern pauschal den Bahnbetrieb einzustellen”, betont Wand. “Dies würde den Verkehr auf die Straße umleiten und zu wesentlich mehr folgenschweren Unfällen führen.” Das Verkehrsmittel Bahn sei nach wie vor eines der sichersten.


dpa / EVN