Kurioser Bahnübergang wird zu Grenzfrage


Es sind nur ein paar Meter, aber dort liegt eine Landesgrenze. Anwohner in einem Vorort von Kelmis in Belgien wollen, dass ein Bahnübergang bleibt. Sie berufen sich auf ein Staatsabkommen von 1931.

Der Bahnübergang liegt zwischen Wiesen und vereinzelten Häusern am Stadtrand von Aachen. Die Schranken können nur mit einem Anruf von einer Rufsäule am Straßenrand geöffnet werden. Dann fährt ein Bahnmitarbeiter aus der Ferne die Schranken hoch, wenn nicht gerade ein Zug kommt. Der ländliche Ort ist Schauplatz eines skurrilen Problems, das mit moderner Technik, einem Vertrag von 1931 zwischen Deutschland und Belgien nur wenig mit einem Europa ohne Grenzen zu tun hat.

Denn die Anlage ist auch ein Grenzübergang, direkt dahinter beginnt Belgien. Entsprechend alarmiert waren die Anwohner im Nachbarland, als bekannt wurde, dass der Bahnübergang nach der Umstellung auf digitale Stellwerktechnik durch die Deutsche Bahn so nicht mehr betrieben werden kann wie bisher. Sie fürchten, dass der Übergang geschlossen und deshalb der Zugang zu ihren Wohnungen auch für Rettungskräfte verschlechtert wird.

Sie berufen sich auf einen 1931 geschlossenen Grenzvertrag zwischen Belgien und Deutschland über den Grenzverlauf. Der Bahnübergang am Luerweg markiere einen in diesem Rahmen vorgesehenen Grenzübergang, sagen sie. Institutionen beider Länder müssten an einer eventuellen Änderung beteiligt werden. “Es bräuchte ein neues bilaterales Grenzabkommen”, sagt Anwohner Andreas Schneider, der auf der belgischen Seite der Schranke wohnt.

“Völkerrechtlich verbindlicher Vertrag”

Eine Bürgerinitiative möchte den Bahnübergang erhalten. “Wir haben mehr als 150 Unterschriften gesammelt, vor allem von der belgischen Seite”, berichtet der Deutsche. Wenn der Bahnübergang verschwände, könnte wegen fehlender anderer Zuwege und schmaler Straßen in Notfällen eine riesige Sackgasse mit rund 70 Wohneinheiten entstehen, argumentiert er.

Der Bürgermeister von Kelmis, der Nachbarstadt Aachens in Belgien, stimmt zu. “Es handelt sich um einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag”, sagt Daniel Hilligsmann. Der perfekt zweisprachige Bürgermeister sagt, der Übergang sei Zugang zu einem Siedlungsgebiet, dessen Potenzial für künftige Bauvorhaben nicht ausgeschöpft sei. Eine Schließung könnte zu Mobilitätsproblemen führen. Auch der öffentliche Sicherheitsaspekt, etwa im Fall eines Waldbrandes, sei nicht zu unterschätzen.

“Aus Sicht der Gemeinde Kelmis ist eine Schließung des Bahnübergangs aus den genannten Gründen auszuschließen”, sagt Hilligsmann. Er appelliert, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Mobilität in der Region weiter zu stärken, “statt bestehende Lösungen einzuschränken oder gar vollends abzubauen”.

Autofahrer und Fußgänger mit Hunden

Eine Verkehrszählung mit Videobeobachtung ergab, dass die Schranke an der schmalen Straße weniger als 100 Male am Tag genutzt wird. Es queren Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger, viele mit Hunden. Laut Bahn gibt es in Nordrhein-Westfalen noch 89 Anrufschranken.

An der Schranke am Luerweg sind die Nutzer gebeten, sich wieder abzumelden, wenn sie an der anderen Seite des Überwegs angekommen sind. Denn es gibt keine Videoüberwachung. Dennoch funktioniere der Übergang gut, sagt Anwohner Schneider. Manchmal höre man aus der Rufsäule eine Reaktion wie: “Ich muss erst den Zug aus Paris durchlassen”. Und müsse etwas warten.

Bahn prüft Varianten für Bahnübergang

Die Deutsche Bahn teilt mit, bei den Planungen für eine neue Stellwerkstechnik im Raum Aachen würden derzeit auch mögliche Varianten für den Bahnübergang am Luerweg geprüft. Ein Bahnsprecher sagt, Bahnübergänge seien grundsätzlich eine Gemeinschaftsaufgabe. Sollten Änderungen vorgenommen werden, müssten unter anderem Bahn, Bund und die für die Straße zuständige Behörde dies gemeinsam vereinbaren.

Auch die Stadt Aachen ist beteiligt. Nach Angaben eines Sprechers würde eine Modernisierung des Bahnübergangs den Bestandsschutz aufheben. Der Übergang müsste dann breiter werden, und auch die Straße auf deutscher Seite müsse verbreitert werden. “Das könnte nur gelingen, wenn Privateigentum angekauft wird”, sagt der Sprecher.

Im Kampf für den Übergang hat die Bürgerinitiative sogar das Auswärtige Amt in Berlin angeschrieben und auf den Vertrag von 1931 verwiesen. Das Ministerium habe reagiert und wolle mit dem Bundesinnenministerium die Zuständigkeit klären, sagt Schneider.


dpa / EVN