BERLIN | Arbeiterkind, ostdeutscher Gewerkschafter, CDU-Mitglied – ein politisches Etikett lässt sich Claus Weselsky kaum aufdrücken. Seit Jahren ist er das Gesicht der GDL. Doch der Ruhestand naht.
Lügner, Nieten in Nadelstreifen, Vollpfosten – das Repertoire an Beleidigungen für Bosse ist groß bei Claus Weselsky. Zuletzt gab es wieder viele Diskussionen darüber, ob ein Gewerkschaftschef in der angespannten gesellschaftlichen Stimmung derart austeilen sollte. Beeinflussen ließ sich der gebürtige Dresdner davon nicht. In gut 16 Jahren als GDL-Chef ging Weselsky stets seinen eigenen Weg, unbeirrt – und oft eben auch mit Härte. An diesem Sonntag wird Weselsky 65 Jahre alt.
Aktuell ringt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn um höhere Tarife und weniger Arbeitszeit für die Beschäftigten. Es ist der letzte Tarifstreit vor seinem geplanten Ruhestand. Zuletzt hatten viele Beobachter das Gefühl, dass Weselsky mit dieser Tarifrunde seiner Karriere noch einen besonders großen Erfolg hinzufügen will. Die Verhandlungen ließ er schnell scheitern, statt Gesprächen gab es zwei Warnstreiks und zwei mehrtägige Streiks.
Seit dem 5. Februar verhandeln die GDL und die Bahn wieder, Informationen über den Fortgang der Gespräche gab es zuletzt nicht. In der Bahn-Branche wird viel darüber spekuliert, was Weselsky wieder an den Verhandlungstisch gebracht hat. Druck von den GDL-Mitgliedern, die schnell mehr Geld auf dem Konto haben wollen? Oder doch eher vom Beamtenbund dbb, der einen Großteil der Streik-Kosten der GDL zahlt? Bis zum 3. März soll verhandelt werden, Streiks wurden bis dahin ausgeschlossen. Was danach kommt, ist offen.
Weselsky gehört in der Bundesrepublik nicht zu den beliebteren Menschen
Für Überraschungen ist Weselsky jedenfalls immer gut, das sagen auch seine Verhandlungspartner. Die GDL ist vor allem eine One-Man-Show des Vorsitzenden. Alles ist auf den Chef zugeschnitten, in der Regel spricht auch nur Weselsky in die Mikrofone und Kameras. Seine beiden Stellvertreter, Mario Reiß und Lars Jedinat, stehen dann meist rechts und links von ihm und schauen finster drein, während ihr Chef in die Mikros schimpft. Vor allem auf Jüngere dürften die drei weißen Herren in ihren Anzügen und stets mit Krawatte etwas altbacken wirken.
Weselsky gehört in der Bundesrepublik sicher nicht zu den beliebteren Menschen, ganz im Gegenteil. Tarifkonflikte mit ihm an der GDL-Spitze bedeuteten zuletzt immer auch Ärger und Frust bei den Fahrgästen der Bahn. Vor einigen Jahren brauchte der Gewerkschaftschef sogar Polizeischutz, weil ein Medium seine private Adresse veröffentlicht hatte. Bis heute verbindet ihn deshalb eine Freundschaft mit dem Polizeigewerkschafter Rainer Wendt, der ihn damals unterstützte.
Kein linker Popstar der Arbeiterklasse
Doch die GDL-Mitglieder vertrauen auf sein Verhandlungsgeschick. “Clausi-Mausi” richte das schon, sagten einige von ihnen im Sommer, als die Gewerkschaft ihre Forderungen für die Tarifrunde mit der Bahn festlegte. Und “Clausi-Mausi” legte los, im November, Dezember und Januar wurde ständig irgendein Eisenbahnunternehmen bestreikt. Bei den DB-Konkurrenten erreichte er mit dem harten Vorgehen bereits Tarifverträge mit 35-Stunden-Wochen für Schichtarbeiter – allerdings mit der Einschränkung, dass ihm dieser Verhandlungserfolg bei allen Unternehmen der Branche gelingen muss. Damit lastet auch auf Weselsky selbst ein hoher Druck.
Als linker Popstar der Arbeiterklasse eignet sich Weselsky trotz allem Einsatz für die Arbeitsbedingungen seiner Mitglieder nur bedingt. Schon allein deshalb, weil er als Gewerkschafter CDU-Mitglied ist. “Weil das meiner konservativen Grundhaltung am nächsten kommt”, erklärte er kürzlich in einem Interview. Abseits der Kameras kann er auch weniger krawallig sein. Nahbar, freundlich und sogar humorvoll tritt er dann auf.
Vertrauensvorschuss bei den Mitgliedern: Weselsky war selbst Lokführer
Weselsky kann stundenlang erzählen über vergangene Tarifrunden, über seine Erfahrungen mit der Presse aber auch über die Ferienwohnung im Spreewald, wo der Gewerkschafter sich bald zur Ruhe setzen will. Es ist seine letzte Tarifrunde. In einigen Monaten will er vom Vorsitz zurücktreten und in den Ruhestand gehen. Weselskys designierter Nachfolger Reiß dürfte es schwer haben.
In seiner langen Amtszeit hatte der in Dresden geborene Weselsky stets einen großen Glaubwürdigkeitsvorteil, den viele Mitglieder schätzen: Er war selbst jahrelang Lokführer, fuhr mit Güterzügen und auch im Personenverkehr durchs Land. Die Reichsbahn hatte den Sachsen in den 1970er Jahren erst zum Schlosser, dann zum Lokführer ausgebildet. Bis 1992 arbeitete Weselsky in dem Beruf, zuletzt als Personaldisponent und Lokleiter in Pirna. In der GDL ist er seit 1990, seit 1992 arbeitet er hauptamtlich für die Gewerkschaft.
Als Vorsitzender versuchte er regelmäßig, den Organisationsbereich der kleinen Gewerkschaft zu erweitern und Tarifverträge auch für Betriebsbereiche auszuhandeln, in denen es solche von der GDL bisher nicht gab. Bis heute steht die GDL in harter Konkurrenz zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die viel mehr Mitglieder hat und im DB-Konzern deutlich stärker vertreten ist. Während die EVG immer wieder als handzahme Hausgewerkschaft verspottet wurde, gab Weselsky den knallharten Gegenspieler zum “roten Riesen”, wie er die Bahn gerne nennt. Intern warfen ihm Kritiker aber immer wieder “einsame Entscheidungen” vor.
Angesichts der vergangenen Streiks wurde Weselsky oft gefragt, ob er es nun vor seinem Ruhestand noch einmal besonders wissen wolle und deshalb den Tarifkonflikt ungeachtet der inhaltlichen Fortschritte eskaliere. Der GDL-Boss wies das stets zurück. Tatsächlich unterscheidet sich die aktuelle Tarifrunde in ihrer Heftigkeit nicht von den vielen anderen, die Weselsky in seiner langen Laufbahn angeführt hat. Allein im Jahr 2015 dauerte der Konflikt rund ein Jahr.
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dpa / EVN