FRANKFURT AM MAIN | Die Zuverlässigkeit des Zugverkehrs lässt derzeit vielerorts zu wünschen übrig. Genervte Pendler und frustrierte Reisende sind die Folge. Die Deutsche Bahn setzt auf einen “massiven Personalaufbau” als Gegenmittel.
Verspätungen, ausfallende Züge, gesperrte Strecken, unzureichende Informationen der Fahrgäste: Im Zugverkehr läuft es derzeit viel zu häufig nicht rund. Die Zahl der Beschwerden ist deutlich gestiegen, berichtet der Fahrgastverband Pro Bahn. Die Deutsche Bahn verweist auf viele Baustellen sowie eine angespannte Personalsituation als Gründe. Zahlreiche Neueinstellungen sollen Abhilfe schaffen. Nachfolgend Fragen und Antworten zum Thema.
Wie ist die Situation?
Pro Bahn listet zahlreiche Probleme auf: Nicht funktionierende, baustellenbedingte Fahrpläne mit massiven Verspätungen, nicht besetzte Stellwerke, mangelhafte Fahrgastinformation, nicht funktionierende Umstiege. Allein letztere führten dazu, das man oft mehr als 60 Minuten warten müsse, erklärt der hessische Landesverband von Pro Bahn. Hinzu kämen Informationen für die Fahrgäste in Apps und an den Bahnhöfen, die nicht zusammenpassten. Dies liege auch daran, dass die einzelnen Unternehmen nicht gemeinsam informierten.
Wo sind die Schwerpunkte der Probleme?
Dem Verband zufolge sind dies Mittelhessen mit einer Häufung an Ausfällen auch in Stellwerken wegen Personalmangels; der Landkreis Groß-Gerau mit Problemen im Bahnhof Mainz-Bischofsheim durch Baustellen, fehlendes Personal und technische Probleme: außerdem der Main-Kinzig-Kreis wegen der Folgen eines mehrmaligen Stellwerkausfalls. Die Linie RB46 fahre seit Monaten zwischen Glauburg-Stockheim und Gelnhausen phasenweise gar nicht. In Nordhessen gebe es unter anderem Probleme der Kurhessenbahn und der Strecke Wabern-Bad Wildungen. Hinzu kämen landesweit Kürzungen im Busverkehr.
Was sind die Ursachen?
Pro Bahn nennt neben jahrelang ausgebliebenen Einstellungen von Personal und Investitionen ein Wirrwarr an Zuständigkeiten zwischen verschiedenen politischen Ebenen und der Bahn, mangelnde Absprachen und teilweise fehlende Fachkompetenz.
Die Deutsche Bahn erläutert, die Personalgewinnung sei wie in anderen Branchen schwierig. Regional könne dies zu einer angespannten Personalsituation führen. “Außerdem haben die enormen Bautätigkeiten zur Sanierung der Infrastruktur zur Folge, dass mehr Mitarbeitende eingesetzt werden müssen”, teilte eine Sprecherin mit. Wenn Umleitungen nötig seien, müssten mehr Schichten besetzt werden. Hinzu kämen erhöhte Krankenstände.
Lokführer, Fahrdienstleiter und Instandhalter seien sehr spezialisiert und könnten bei Engpässen nicht ohne Weiteres anderorts eingesetzt werden. “So war es zum Beispiel jüngst in den Stellwerken Frankfurt West oder Frankfurt Süd trotz aller Anstrengungen nicht möglich, einzelne Schichten voll zu besetzen. Infolgedessen konnten die Züge nicht regulär über die Strecken fahren. Auch bei der S-Bahn Rhein-Main kam es in den vergangenen Wochen krankheitsbedingt zu einigen Ausfällen”, hieß es von der Bahn.
Was wird als Gegenmittel unternommen?
Derzeit verzögern die vielen Baustellen den Verkehr, doch langfristig sollen sie für mehr Zuverlässigkeit sorgen. 2200 baubedingte Fahrplanänderungen habe es alleine im laufenden Jahr gegeben, teilt der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) mit. Dies sei ein Rekord – “dringend notwendig, um das marode Schienennetz zu erneuern”, wie ein RMV-Sprecher sagt.
Um dem Personalmangel zu begegnen, werde “massiv Personal” aufgebaut, um die Schiene zu stärken und eine bessere Qualität zu bieten, sagt eine Bahnsprecherin. 2023 werde im fünfstelligen Bereich eingestellt und qualifiziert, dies sei auch 2024 geplant. Parallel würden die Standardisierung, Automatisierung und Digitalisierung vorangetrieben, Beispiel sei das neue elektronische Stellwerk in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis).
Die aktuelle Personalsituation an den Stellwerken nennt Pro Bahn absolut nicht hinnehmbar. “In solch eklatanter Weise hat sich dies in fast 190 Jahren Bahngeschichte, nehmen wir mal die Weltkriege aus, nicht zugetragen”, sagt der hessische Landesvorsitzende Thomas Kraft. Der Verband fordert, dass Bahnberufe wie Fahrdienstleiter als systemrelevant eingestuft werden, ähnlich den Gesundheitsberufen. Wenn ein Stellwerk tagelang ausfalle, wie etwa zuletzt im größten hessischen Güterbahnhof Mainz-Bischofsheim, verzögerten sich Lieferketten in ganz Zentraleuropa.
dpa