Berlin: Verantwortung für Stammstrecke liegt bei Bayern und der Bahn


MÜNCHEN | In München versucht ein Untersuchungsausschuss aufzuklären, warum die zweite S-Bahn-Stammstrecke in der Landeshauptstadt so aus dem Ruder gelaufen ist. Bislang gab es niemanden, der sich dafür verantwortlich fühlt – auch nicht die zwei jüngsten Zeugen.

Sowohl der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als auch sein amtierender Nachfolger Volker Wissing (FDP) haben eine Zuständigkeit des Bundes bei der zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke jenseits der Finanzhilfe zurückgewiesen. Die Verantwortung liege klar beim Freistaat sowie der Deutschen Bahn, betonten beide unabhängig voneinander am Montag als Zeugen im Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages.

Entsprechend hätten sie sich im Rahmen ihres Amtes auch nicht mit dem größten bayerischen Infrastrukturprojekt befasst, das bei Kosten und Zeitplan total aus dem Ruder gelaufen ist.

Einzige Ausnahme sei seine Teilnahme an einem Spitzengespräch im Juli 2019 gewesen, sagte Scheuer, der von 2018 bis 2021 im Amt war. Damals habe es aber noch geheißen, dass die Stammstrecke trotz umfangreicher Umplanungen im Plan bleibe. Ansonsten habe er sich – wenn überhaupt – nur zwischen Tür und Angel mit anderen Beteiligten etwa aus der Staatsregierung über das Mammutprojekt unterhalten. Mehrere Abgeordnete des Ausschusses zeigten sich darüber verwundert, übernimmt der Bund doch 60 Prozent der förderfähigen Kosten.

Auch manch andere Ausführung führte bei den Abgeordneten zu Unverständnis. So habe ein an ihn adressierter Brief der damaligen bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU), in dem die jahrelange Verzögerung und eine drohende Kostenexplosion thematisiert wurden, zwar das Ministerium erreicht, aber nicht ihn persönlich, sagte Scheuer. An ein Telefonat, auf das Schreyer in dem Schreiben Bezug nimmt, könne er sich nicht erinnern. „Erschreckende Gedächtnislücken“ bescheinigte ihm daraufhin nicht nur der Grünen-Abgeordnete Markus Büchler.

Scheuers Nachfolger Wissing sorgte für hochgezogene Augenbrauen, als er in seiner Vernehmung berichtete, dass jenes fragliche Telefonat auch in der Mail einer Mitarbeiterin erwähnt wurde. Das Schreiben Schreyers sei, soweit nachvollziehbar, in Scheuers Leitungsbereich weitergeleitet worden. „Auf meinem Tisch ist es jedenfalls nicht gelandet, weil normalerweise jeder sein Kürzel und sein Datum dahinter schreibt“, betonte Scheuer auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa.

Der niederbayerische CSU-Bezirksvorsitzende lieferte sich bei seiner Vernehmung mehrere Wortgefechte mit dem Grünen-Abgeordneten Martin Runge. „Wenn ich geahnt hätte, dass ihr beide heute derart emotional aufeinandertrefft, hätte ich die Glocke mitgenommen“, kommentierte der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl (Freie Wähler). „Jetzt konzentrieren wir uns bitte auf die Fragen.“

Beherrscht statt temperamentvoll trat hingegen Wissing auf. Über seine Emotionen angesichts der milliardenschweren Kostensteigerung wollte er nicht reden, doch habe es „Irritationen“ beim Umgang der Staatsregierung mit der Entwicklung gegeben. Ein für Juni 2022 geplantes Gespräch habe er am Vorabend kurzfristig abgesagt, weil offenbar unterschiedliche Erwartungen bestanden hätten.

Er habe mit einem Besuch zum gegenseitigen Kennenlernen gerechnet, schilderte Wissing. Aus der Zeitung habe er dann erfahren, dass er am nächsten Tag als Hauptakteur zu einem Krisengipfel erwartet werde – dabei sei er gar nicht für den Nahverkehr zuständig. „Der Bund hat hier weder ein Informations- noch ein Einwirkungsrecht und schon gar keine Entscheidungskompetenz.“ Er beteilige sich lediglich an der Finanzierung. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) hatte Wissing damals vorgeworfen, zu „kneifen“.


dpa / EVN