LEIPZIG | In einem gläsernen Büro direkt an den Gleisen des Leipziger Hauptbahnhofs werben gebürtige Ukrainer potenzielle Mitarbeiter an. Auch mit Geflüchteten aus der Ukraine will die Deutsche Bahn Personallücken füllen.
Ob Unterstützung beim Lebenslauf, bei der Anerkennung von Zeugnissen oder auf der Suche nach einem neuen Job: Kamran Radzhput und Viktor Omelianenko – zwei Angestellte der Job-Welt der Deutschen Bahn am Leipziger Hauptbahnhof – helfen arbeitssuchenden Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine wo sie nur können. “Neben Ukrainerinnen und Ukrainern kommen aber auch Menschen verschiedenster anderer Nationalität von nah und fern zu uns”, sagt der gebürtige Ukrainer Radzhput der Nachrichtenagentur dpa. Bereits Anfang 2020 kam der gelernte Deutschlehrer zum Studieren nach Deutschland. Sein Kollege Viktor ist bereits seit rund 30 Jahren hier. Ihr Beispiel soll Arbeitssuchende aus dem Ausland zum Einstieg in den Arbeitsmarkt ermutigen – am besten gleich bei der Deutschen Bahn.
“Wir bei der Deutschen Bahn suchen seit Jahren nach Personal, stellen massiv ein. Allein 2023 sind es mehr als 25.000 neue Kolleginnen und Kollegen”, sagt Anne-Katrin Hackbeil, die im Recruting-Team der Bahn arbeitet und für das Leipziger Job-Welt-Duo verantwortlich ist. Gesucht würden klassische Eisenbahnberufe, etwa Fahrdienstleiter oder Lokführer. “Von denen gibt es in der Ukraine einige”, ergänzt Omelianenko. Ein Jahr nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 – rund acht Monate nach der Eröffnung des Beratungscenters – haben Omelianenko und sein Kollege nun etwa 1.900 Beratungen durchgeführt, etwa die Hälfte davon waren Ukrainerinnen und Ukrainer. Das Ergebnis: “26 Anstellungen bei der Bahn allein in Südost”, so Hackbeil.
Erst kürzlich habe er einen Mann und dessen Frau beraten, die im mittlerweile zerstörten Stahlwerk in Mariupol gearbeitet haben, erzählt Omelianenko. Beide besuchten nun in Deutschland die Sprachschule, fingen demnächst als Lokführer und Fahrdienstleiterin bei der Bahn an.
Auch Inessa Orel kam über das Beratungszentrum in Leipzig zur Bahn. Die 34-Jährige wurde in Kiew geboren, war dort als Rechtsanwältin tätig bis sie gemeinsam mit ihren Kindern – ihrem zwölf Jahre alten Sohn und der vierjährigen Tochter – vor dem Krieg fliehen musste. “Ich habe über eine Gruppe auf Telegram von den Ausbildungsmöglichkeiten der Bahn erfahren”, erzählt sie. Ein Bahnhof sei für sie wie eine Sehenswürdigkeit, sie komme gerne an einen. “Auch deshalb möchte ich bei der Bahn anfangen. Zuerst in der Fahrdienstleitung, dann möchte ich mich weiterentwickeln”, so ihre Erwartung.
Das Beratungszentrum in Leipzig war bundesweit das erste der Bahn. Im September vergangenen Jahres eröffnete ein weiteres am Hauptbahnhof in Frankfurt am Main. In Köln und Berlin sind mobile Teams unterwegs. “Als die Sonderzüge hier in Leipzig ankamen, bin ich immer zu den Gleisen gelaufen und habe die Menschen – es waren ja vor allem Frauen und Kinder – abgefangen und ihnen von unserem Angebot erzählt”, sagt Omelianenko, der gelernter Elektrotechniker ist. Auch heute mache er das so, obwohl nach Ende des vergangenen Sommers sowie des Auslaufens des 9-Euro-Tickets deutlich weniger Menschen kämen.
Bei ihrer Arbeit sei der Krieg in ihrer Heimat immer ganz nah, so Radzhput: “Wir reden jeden Tag darüber, hören Geschichten, die viel zu traurig sind.” In der Job-Welt haben beide einen Platz gefunden, an dem sie persönlich helfen können – die Konzentration auf ihre Arbeit helfe ihnen auch dabei, mit dem Krieg umzugehen. “Wir wollen nicht nur Jobs, sondern Hoffnung geben”, sagte Omelianenko.
dpa / EVN