Experten kritisieren Deutsche Bahn nach Zugunglück in Garmisch


MÜNCHEN / BERLIN | Vor zwei Monaten erschütterte eines der schwersten Bahnunglücke Deutschland: Fünf Menschen starben, als in Garmisch-Partenkirchen ein Zug entgleiste. Politiker und Bahnchef Lutz reisten an, versprachen Aufklärung. Doch vieles ist weiter unklar.

Knapp zwei Monate nach dem Zugunglück von Garmisch-Partenkirchen mit fünf Toten ist noch immer unbekannt, wann auf der Strecke wieder Züge rollen. Auch zur Schadenshöhe äußerte sich die Deutsche Bahn bisher nicht. Es gebe keine Informationen über bereits Mitgeteiltes hinaus, erläuterte die Deutsche Bahn mehrfach auf Anfrage.

Experten kritisieren die Verzögerungen. „Wenn diese Baustelle Priorität hätte, wäre das binnen weniger Wochen fertig“, sagte der Professor für das Fachgebiet Schienenfahrzeuge an der TU Berlin, Markus Hecht, der Deutschen Presse-Agentur. Er hatte bereits kurz nach dem Unfall Gleisverwerfungen als mögliche Ursache ins Spiel gebracht.

Selbst nach dem Unglück von Eschede sei nach kurzer Zeit wieder gefahren worden, sagte Hecht. Die Bahn muss in dem Garmischer Fall allerdings rund 700 Meter Schienen sowie 500 Schwellen erneuern. Die Erneuerung der Schwellen sei aufwendig, räumte Hecht ein. „Es ist wie ein Gleisneubau und benötigt einige Tage.“

Die Bahn habe zu viele Baustellen – und zu viele Langsamfahrstellen. Das koste Zeit und damit Geld – und beeinträchtige den Bahnverkehr gerade bei der hohen Nachfrage wegen des 9-Euro-Tickets und der Urlaubszeit. „Es ist ein Riesenschwachpunkt, dass man überhaupt Langsamfahrstellen braucht und damit die Kapazität reduziert – und damit zur Überfüllung der Züge beiträgt.“

Ähnlich äußerte sich Thomas Strang, Experte für Kommunikation und Navigation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Priorisiere man eine Baustelle, gehe es anderswo langsamer voran. Er kritisierte die Informationspolitik der Bahn. „Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse, informiert zu werden, auch über Zwischenstände.“ Strang und Hecht verwiesen auf eine EU-Regel, nach der binnen eines Jahres der Abschlussbericht der Bundeseisenbahnuntersuchungsstelle zu einem Unfallhergang vorliegen muss.

Der Sanierungsstau aus Jahrzehnten lasse sich nicht kurzfristig beheben, sagte Strang. Er sprach sich deshalb für Messtechnik an normalen Zügen aus. Mit preiswerten Sensoren könnten bei regulären Fahrten permanent mögliche Schwachstellen frühzeitig erkannt werden.

Hecht brachte Sensoren ins Spiel, wenn es nach einer Wiederaufnahme des Zugverkehrs noch Unklarheit über den Unfallhergang von Gleisseite gebe und man sicher gehen wolle. Sensoren könnten Veränderungen am Gleis frühzeitig anzeigen und so Unfälle verhindern helfen. „Man kann mit der Unsicherheit leben, wenn man das messtechnisch überwacht.“ Dass der Zug am 3. Juni entgleiste, sei nicht ein aktueller Vorgang gewesen, sondern habe sich länger angebahnt.

Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt nach dem Unglück gegen vier Mitarbeiter der Deutschen Bahn wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Dabei sind auch zwei Fahrdienstleiter im Visier der Ermittler. Bei dem Unglück starben vier Frauen und ein 13-Jähriger. 16 Menschen wurden schwer verletzt.


dpa | Foto: Feuerwehr / Hecht