Gäubahn gerät in Strudel des Megaprojekts Stuttgart 21


STUTTGART | Anders als noch vor ein paar Jahren steht im Zusammenhang mit dem Megaprojekt Stuttgart 21 jetzt die Gäubahn genannte Zugverbindung (Stuttgart–Zürich) im Fokus der Debatte.

Denn nach den Plänen der Deutschen Bahn soll ab 2025 eine durchgängige Verbindung in die Landeshauptstadt nicht mehr möglich sein. Stattdessen sollen Reisende im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen in die S-Bahn Richtung Hauptbahnhof umsteigen – was erhebliche Fahrzeitverlängerungen mit sich bringt. Schuld sind Verzögerungen bei dem zu Stuttgart 21 gehörenden Flughafenbahnhof.

Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof ist schon lange das umstrittenste Bauprojekt Deutschlands. Der Bahnhof soll samt Schienennetz unter die Erde verlegt sowie an den Flughafen angebunden werden. Und nun ist die Gäubahn in den Strudel dieses Megaprojekts, das Milliarden kostet, geraten.

Die für mehrere Jahre geplante Unterbrechung der Gäubahn ist nicht nur den Anrainerstädten auf deutscher Seite – Singen, Rottweil, Tuttlingen, Villingen-Schwenningen, Horb, Herrenberg und Böblingen – ein Dorn im Auge. Auch die Schweizer sind mehr als verärgert. „Wir sind natürlich nicht zufrieden mit der Situation, weil es unser Ziel ist, die internationalen Verbindungen auszubauen und so auch mehr Menschen in der Schweiz auf die Schiene zu bekommen“, sagte der Chef des Schweizer Bundesamtes für Verkehr, Peter Füglistaler, kürzlich. Die Diskussion um die Gäubahn schaffe eine „riesige Unsicherheit“. Auch die Bauern auf den Fildern haben genug und demonstrierten am vergangenen Wochenende aus Angst um ihre Felder mit Traktoren und Landmaschinen gegen den Bau des Pfaffensteigtunnels.

Der Landesnaturschutzverband hat gestützt auf ein Rechtsgutachten einen Antrag an das Eisenbahnbundesamt (EBA) gestellt. Ziel: Die Behörde soll der Bahn verbieten, die Strecke stillzulegen. Ein „Gäubahn-Gipfel“ am 19. Juli in Böblingen auf Einladung von Schienenstaatssekretär Michael Theurer (FDP) soll die Wogen glätten. Eingeladen sind neben dem Landesverkehrsministerium und Verbänden auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Bürgermeister und Landräte entlang der Strecke.

Die betroffenen deutschen Städte sind absolut gegen die geplante Abbindung der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof, solange die Trasse über den Flughafen nach Stuttgart mit dem Pfaffensteigtunnel nicht fertig gestellt ist. Die deutschen Kommunen mit ihren 1,4 Millionen Anwohnern entlang der Gäubahn befürchten, dass dieses Provisorium über Jahre andauern könnte und damit die Attraktivität der Gäubahn, die ohnehin gelitten hat, massiv beschädigt. Rottweil befürchtet zudem, ausgerechnet im Jahr der Landesgartenschau 2028 vom Fernbahnverkehr und der Landeshauptstadt abgekoppelt zu sein, was sich negativ auf die Besucherzahlen auswirken könnte.

Die Frage sei, warum man die Panoramabahntrasse zum Hauptbahnhof kappen müsse, sagte Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos), der im November als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied in den Städtetag wechselt. Broß gibt die Sicht der Anrainerkommunen wider. „Warum kann man sie nicht weiter nutzen, um die Bahnreisenden bis zum Hauptbahnhof zu bringen?“ Stuttgart plane ohnehin eine städtebauliche Nutzung des Geländes erst in ein paar Jahren.

„Die Gäubahn ist nicht nur eine regionale Bahn für Berufspendler, sondern es ist tatsächlich eine wichtige internationale Verbindung“, sagte Broß. Jeder, der nur den Begriff Gäubahn höre, vermute, es handle sich etwa um eine Regionalbahn. Die Gäubahn sei keine Tingeltangel-, und auch keine Bimmelbahn ins Hinterland, sondern in Wirklichkeit eine wichtige Verbindung zwischen der Schweiz und Stuttgart. Der OB erinnerte an das Tunneldebakel in Rastatt aus dem Jahr 2017: Damals waren Gleise über der Baustelle der Rheintalbahn abgesackt und Arbeiter pumpten Beton auf 160 Metern Länge in die Röhre, in der noch die Tunnelbohrmaschine steckte. Der Verkehr auf einer Hauptverbindung zwischen den Nordseehäfen und Italien stand sieben Wochen still. Die Gäubahn sei eine wichtige Alternative gewesen, sagte Broß.

Ein Gutachten der betroffenen Kommunen besagt, dass vor der geplanten Abbindung der Gäubahn ein eisenbahnrechtliches Stilllegungsverfahren erfolgen muss. Vor der Nutzung der Grundstücke auf der bisherigen Panoramabahntrasse sei auch ein sogenanntes Freistellungsverfahren nötig. „Wir schlagen vor, die Panoramabahn weiterhin in Funktion zu belassen. Wir schlagen aber auch vor, dass man Alternativen prüft. Wichtig ist, dass der Fahrgast auf der Bahn durchgängig in den Hauptbahnhof fahren kann“, sagte Broß. Die Konferenz in Böblingen habe ein klares Ziel: „Keine Abbindung ohne Anbindung, keine Abbindung ohne Alternative.“ Je nachdem wie das Eisenbahnbundesamt über das Stilllegungsverfahren entscheide, sei auch eine Klage drin: „Wer das dann tut, ob die Anrainer oder ein Landesverband oder jemand aus der Richtung Naturschutz, das muss man sehen“, sagte Broß.

Schienenstaatssekretär Theurer sagte auf Anfrage: „In meiner Macht steht es nicht, die Forderungen der Anrainerkommunen einzulösen“. Zu dem Fall lägen verschiedene Gutachten beim Eisenbahnbundesamt. Die Entscheidung müsse abgewartet werden. „Der Bund ist nicht Projektträger von Stuttgart 21.“


dpa | Foto: DB AG / Benedikt Stahl