Wie sich die Zeit in einer ländlichen Region verändert, ist besonders an der Stilllegung von Bahnstrecken zu beobachten. Gehen industrielle Betriebe und Gewerbegebiete kaputt oder werden umgesiedelt, und wird eine alternative Möglichkeit für den Gütertransport und öffentlichen Personenverkehr geschaffen, so verschwindet damit leider vielerorts auch die Existenzgrundlage für das Verkehrsmittel Eisenbahn. Ein trauriges Beispiel hierfür bietet eine frühere eingleisige Nebenbahnstrecke rund 85 Kilometer südwestlich von Berlin.
Die frühere Brandenburgische Städtebahn, die die Städte Neustadt (Dosse) und Treuenbrietzen über Brandenburg an der Havel westlich bis südwestlich von Berlin verband, ist heute nur noch Eisenbahngeschichte. Denn von der insgesamt 125,6 Kilometer langen Bahnstrecke, die vor mehr als einem Jahrhundert eröffnet wurde, sind nur noch wenige Spuren zu finden. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Städten Bad Belzig (bis 2011 Belzig) und Brandenburg an der Havel existiert heute größtenteils nicht mehr. Vereinzelt deuten nur noch allein stehende Signale und ein zurückgebliebenes Schotterbett auf die frühere Eisenbahninfrastruktur hin. Wo einst Schienen und Schwellen die Landschaft prägten, grünt es heute. Die Natur hat sich mittlerweile der früheren Bahndämme weitestgehend bemächtigt.
Im Herbst des vergangenen Jahres habe ich die Gelegenheit genutzt und mich auf eine interessante Spurensuche nach den letzten Überbleibseln der damaligen Bahntrasse mit der Streckennummer 6542 begeben. Begonnen hat diese Erkundungstour in Bad Belzig mitten im Fläming, einer Kleinstadt im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Die Stadt umfasst vier Stadtteile und 14 Ortsteile mit knapp 11.000 Einwohnern. Der dortige Bahnhof fasst heute zwei durchgehende Hauptgleise und einige ungenutzte Nebengleise. Stündlich halten hier nur noch ein bis zwei Regionalzüge des Typs Talent 2 der Deutschen Bahn, die in Richtung Berlin bzw. Dessau unterwegs sind.
Die früheren Gleise und Bahnsteige im Bahnhof Bad Belzig für die ehemaligen Zugverbindungen nach Brandenburg an der Havel und Treuenbrietzen sind heute nicht mehr für den Fahrgastverkehr zugänglich und verschwinden zunehmend im Dickigt der Vegetation. Da die Strecke zwischen Brandenburg und Belzig nie elektrifiziert wurde, musste der Zugverkehr gegen Ende des Dampflokzeitalters um 1932 mit unterschiedlichen Dieseltriebfahrzeugen bewältigt werden. Wurden in den Anfangsjahren noch lokbespannte Reisezüge eingesetzt, folgten später unter anderem Schienenbusse der Baureihe 772 – umgangssprachlich auch als „Ferkeltaxe“ bezeichnet – und anschließend dann Dieseltriebwagen der Baureihe 646.
Das kleine Dorf Schwanebeck, mittlerweile ein Ortsteil der Stadt Bad Belzig, erreichte im Jahr 1998 durch die Ausstrahlung des Spielfilms „Der dreckige Tod“ ein kleines Stück nationale Berühmtheit. Hauptdarsteller Heiner Lauterbach drehte hier im Herbst 1997 für einen Sat.1-Kriminalfilm eine kurze fast zweiminütige Aktionsszene (? Filmausschnitt mit polnischer Übersetzung auf YouTube), bei der die dortige Eisenbahnüberführung, an die heute nahezu nichts mehr erinnert, zentraler Bestandteil war.
Von den früheren Haltepunkten und Bahnhöfen in Fredersdorf, Lütte, Dippmannsdorf und Golzow sowie Krahne, Reckahn und Göttin sind heute ebenfalls nur noch sehr wenige Überreste zu finden. Wartehäuschen und Bahnhofsgebäude sind verlassen oder werden von Privatleuten als Wohnraum genutzt. Die Schienen und Schwellen der damaligen eingleisigen Strecke sind mittlerweile größtenteils entfernt. Einzig das noch zurückgebliebene Schotterbett zeichnet heute den früheren Fahrweg andeutungsweise in die idyllische Landschaft.
Die Brandenburgische Städtebahn AG wurde 1901 gegründet und eröffnete am 25. März 1904 den Eisenbahnverkehr auf der eingleisigen Nebenbahnstrecke von Neustadt (Dosse) über Rathenow, Brandenburg, Belzig, Niemegk bis Treuenbrietzen. Geführt wurde der Betrieb in den ersten zehn Jahren durch die Vereinigte Eisenbahnbau- und Betriebs-Gesellschaft, bis der AG-Vorstand der Städtebahn zum 1. April 1914 den Betrieb in die eigenen Hände nahm. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges ging die Betriebsführung ab 1920 auf das Landesverkehrsamt Brandenburg über. Im April 1949 wurde die Streckenverwaltung dann durch die Deutsche Reichsbahn (DR) übernommen. Mit der Wiedervereinigung und der späteren Zusammenführung von DR und DB ging die Strecke in das Netz der Deutschen Bahn über.
Der Abschied von der Bahnstrecke begann schrittweise: Bereits am 1. Oktober 1962 war der Personenverkehr auf dem Teilstück von Treuenbrietzen nach Belzig eingestellt worden. Rund 40 Jahre später, Ende 2003, folgte die Einstellung des Personenverkehrs auf dem Streckenabschnitt zwischen Brandenburg und Belzig. Denn das Land Brandenburg hatte die Verkehrsleistung aufgrund einer mangelnden Verkehrsnachfrage zum 13. Dezember abbestellt. Kurz zuvor, am 30. November 2003, war bereits der Teilabschnitt nördlich der Stadt Brandenburg, zwischen Neustadt (Dosse) und Rathenow Nord, außer Betrieb gesetzt worden. Das Sterben der Trasse war nun in vollem Gange. An einem Weiterbestehen hatte das Land Brandenburg kein großes Interesse.
Die Interessengemeinschaft (IG) Brandenburgische Städtebahn e.V. hatte vor mehr als zehn Jahren vergeblich versucht die Strecke Belzig – Brandenburg betrieblich zu erhalten und von der DB Netz zu erwerben. Organisiert von den Eisenbahnfreunden Hoher Fläming (EBF) und der IG wurden am 25. März 2004 Sonderfahrten zum 100-jährigen Jubiläum der Städtebahn durchgeführt. Noch im Juli 2006 plante der Verein auf demselben Abschnitt die Aufnahme touristischer Verkehre, die bereits ein Jahr später durchgeführt werden sollten. Dazu kam es jedoch nie.
Nach Informationen der Prinsen Eisenbahninfrastruktur GmbH, seit 2007 Eigentümer der Strecke Brandenburg – Belzig, befand sich der Teilabschnitt Golzow – Belzig im Jahr 2010 in einem nicht mehr befahrbaren Zustand. Grund hierfür waren nach Angaben des Unternehmens Oberbaumängel und außer Betrieb befindliche Bahnübergangssicherungsanlagen. Da die Strecke zudem nicht an das elektronische Stellwerk (ESTW) in Belzig angeschlossen war, hätte eine personelle Besetzung der Stellwerksanlagen vor Ort zu hohen Personalkosten geführt. Rund 1,2 Mio. Euro wären hier zum Erreichen des üblichen Standards für die kommenden fünf Jahre erforderlich gewesen. Zudem war eine Wiederaufnahme des fahrplangebundenen Personenverkehrs zu diesem Zeitpunkt aufgrund des parallel angebotenen Busverkehrs entlang der Strecke als nicht wirtschaftlich eingestuft worden.
Mit der Zustimmung durch das Landesamt für Bauen und Verkehr (LBV) Brandenburg zur Freistellung des Bahngeländes von jeglichen Bahnbetriebszwecken im Sinne § 23 AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz) wurde das bis 2012 noch bestehende Teilstück Golzow – Reckahn (bei Brandenburg) ab Januar 2013 zunehmend abgebaut. Mit einem Abriss der Bahnstrecke Belzig – Golzow war bereits einige Zeit zuvor begonnen worden. Das Ende der Strecke war damit definitiv besiegelt.
Mit eindrucksvollen Worten kommentierte die Interessengemeinschaft den Verlust der Strecke in einer Pressemitteilung vom 18. Dezember 2012:
„Von der Brandenburgischen Städtebahn, die einst den Berliner Wohlstand in der Mark Brandenburg verteilte und aus Treuenbrietzen, Niemegk, Belzig, Golzow, Krahne, Reckahn, Pritzerbe und Rhinow erst bedeutende Siedlungen machte, ist nur noch das Stück zwischen Rathenow und Brandenburg/Havel geblieben. […] Für die Brandenburgische Städtebahn gibt es nur die bittere Erkenntnis: Tod ist sie mehr wert als lebend.“
Aktuell gibt es aber Chancen auf einen kleinen Neuanfang: Denn auf dem stillgelegten Teilstück südlich von Bad Belzig bis Niemegk erscheint ein zumindest touristischer Bahnbetrieb wieder als möglich. Bereits seit 2014 gibt es hier seitens der Deutschen Regionaleisenbahn GmbH Berlin (DRE) erste Versuche auf dem rund zehn Kilometer langen Streckenabschnitt Draisinenfahrten anzubieten. Ob dieser kleine Gleisabschnitt des früheren Städtebahn-Netzes aber wirklich dauerhaft erhalten werden kann und ein eingeschränkter Betrieb tatsächlich wieder möglich wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es den engagierten Eisenbahnfreunden Hoher Fläming (EBF) und der IG Brandenburgische Städtebahn e.V. in jedem Fall.
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