MÜNCHEN | In mehr als 60 Städten weltweit fahren Züge automatisiert. In Deutschland ist die Nürnberger U-Bahn seit 2008 einsamer Vorreiter. Aber das ändert sich.
Rund 96.000 Bahn- und Busfahrer arbeiten im öffentlichen Nahverkehr in Deutschland – aber fast die Hälfte von ihnen geht in den nächsten Jahren in Rente. Bis 2030 müssten etwa 40.000 Stellen neu besetzt werden, sagt Eike Arnold, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. “Wir suchen händeringend Fahrerinnen und Fahrer.” Autonom fahrende Busse werden schon in Dutzenden Städten erprobt, eine fahrerlose U-Bahn gibt es jedoch in Deutschland bislang nur in Nürnberg. Warum?
Auf Schienen in einem Tunnel ist das Fahren per Computer viel einfacher als im Straßenverkehr, wo Autos, Radfahrer und Fußgänger kreuzen. Hochautomatisiert können Züge auch in viel kürzeren Abständen hintereinander fahren, im 100-Sekunden-Takt wie auf der Stammstrecke in Nürnberg zum Beispiel. Laut Hersteller Siemens können auf bestehenden Strecken so bis zu 30 Prozent mehr Fahrgäste befördert werden. Durch vorausschauendes Anfahren und Bremsen “verbrauchen autonome Züge auch signifikant weniger Antriebsenergie und tragen zu verringertem Verschleiß von Fahrzeugen und Schienen bei”, sagt Axel Schuppe, Geschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie.
“Weltweit nutzen tagtäglich bereits Millionen Fahrgäste in über 60 Städten – darunter London, Paris, Vancouver, Sao Paulo, Mexiko oder Singapur – automatisierte Züge”, sagt Schuppe. “Wenn heute neue Linien gebaut werden, dann sollen die Züge fast immer auch autonom fahren, und die Automatisierung wird mitgeplant.”
Wie jetzt in Hamburg. Die neue U5 “wird automatisch und ohne Fahrpersonal fahren”, sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Beim bestehenden Netz dagegen würden Kosten und technischer Aufwand “in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag” stehen. Dort soll eine Teilautomatisierung bald einen 100-Sekunden-Takt ermöglichen: Zwischen den Stationen steuert der Rechner, An- und Abfahrt übernehmen die Fahrer.
Pionier für die fahrerlose U-Bahn war vor 40 Jahren die Metro in der nordfranzösischen Großstadt Lille. Nürnberg folgte vor 15 Jahren, 2008, mit der neugebauten Linie U3. Zwei Jahre lang fuhr sie auf der Stammstrecke im Mischbetrieb mit der von Fahrern gesteuerten U2. Die wurde dann ebenfalls automatisiert, schrittweise und im laufenden Betrieb.
Die notwendige Technik kostete 110 Millionen Euro zusätzlich. Aber das habe sich längst gelohnt, sagt Elisabeth Seitzinger, Sprecherin der Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG. “Wir würden das heute nicht mehr hergeben!” Der Fahrplantakt sei dichter. Es brauche weniger Fahrzeuge und 105 U-Bahn-Fahrer weniger. Und der Betrieb sei flexibler: Bei großem Andrang können schnell Züge aus dem Depot eingesteuert werden, ohne dass ein Fahrer aus dem Feierabend geholt werden muss. “Mehr Leistung, geringer Aufwand”, so das Fazit der VAG.
Etwa 70 Millionen Fahrgäste jährlich sind in den fahrerlosen Zügen durch Nürnberg unterwegs. Berührungsängste hätten die Fahrgäste nicht gezeigt, “das wurde von Anfang an gut angenommen, das war kein Thema”, sagt Seitzinger. Wo in herkömmlichen U-Bahnen der Führerstand ist, stehen hier die Fahrgäste und haben freie Sicht auf die Strecke.
Zur Sicherheit sind die Bahnsteige vieler fahrerloser U-Bahnen durch Absperrungen von den Gleisen getrennt. Erst wenn der Zug hält, öffnen sich die Türen der Absperrung. In Nürnberg dagegen setzt man auf Sensoren in den Gleisen: Fällt etwas aufs Gleis, lösen sie eine Schnellbremsung aus.
Es gebe kaum noch Stadtbahnen, die “die Automatisierung nicht mindestens perspektivisch mitdenken”, sagt Schuppe. “Das Geschäft mit digitaler Leit- und Sicherungstechnik, die eine Vorbedingung für fahrerloses Fahren bildet, zieht merklich an.” Die Bahnindustrie erhalte zunehmend Anfragen kommunaler Verkehrsbetriebe.
Viele Städte rollen jetzt die Basistechnik für die Zugautomatisierung aus, “zum Beispiel Berlin, Frankfurt am Main oder München”, sagt der Verbandsmanager. Das mache das Netz auch ohne Ausbau leistungsfähiger. “Künftig sollen so Züge im Frankfurter Netz zum Beispiel alle zwei Minuten fahren können.”
Die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG hatte einen Pilotversuch mit Bahnsteigtüren geplant, aus Kostengründen aber wieder abgesagt. Für die vollständige Automatisierung der U-Bahn wären neue Fahrzeuge und eine neue Infrastruktur notwendig. “Das Bestandsnetz darauf umzustellen, würde sehr viel Geld kosten und viele Jahre bis Jahrzehnte dauern”, sagt Sprecher Maximilian Kaltner.
Auch die Berliner BVG will die U-Bahn schrittweise so automatisieren, dass dichtere Takte möglich sind. Aber das zum Teil noch aus der Kaiserzeit stammende Netz mit seinen vielen denkmalgeschützten U-Bahnhöfen fahrerlos zu betreiben, wäre technisch wie finanziell eine enorme Herausforderung, sagt Sprecher Markus Falkner.
Langfristig gehe der Trend in Richtung autonomes Fahren, sagt VDV-Sprecher Arnold. Wo eine neue U-Bahn oder eine neue Linie entsteht oder wo Infrastruktur und Züge komplett erneuert werden müssen, geht es schneller. Aber Fahrer würden noch Jahrzehnte gebraucht.
dpa