Eisenbahn-Enthusiasten wollen DDR-Prestigezug wieder auf die Schiene bringen


HALBERSTADT | In den 1960er Jahren wollte die DDR zeigen, dass sie auf der Schiene mithalten kann. Ein Zug mit Komfort wie Drehsitzen und warmem Wasser im Waschraum bestach durch modernes Design. Einst verband er Berlin mit Prag und Wien. Nun soll er wieder auf die Strecke. Zuvor ist viel zu tun.

Staub liegt in der Luft, Schweißer arbeiten in schwerer Montur, Hämmern ist zu hören. In einer riesigen Werkhalle in Halberstadt steht das ehemalige Prestigeobjekt der DDR für die Schiene. Vom Schnelltriebwagen VT 18.16, der einst Berlin, Prag und das für viele DDR-Bürger unerreichbare Wien verband, ist kaum mehr als eine rostige Hülle übrig. Der Zug mit fünf Wagen ist in seine Einzelteile zerlegt und soll bis zum Jahresende restauriert sein. Mit 200 Fahrgästen soll er rund 20 Jahre nach seiner Abschiedsfahrt nach Prag wieder auf dieselbe Strecke gehen können. Die Genehmigung für den Betrieb in der Tschechischen Republik hat er bereits.

Hinter dem Projekt stehen Bahn-Enthusiasten, die sich in der 2019 gegründeten gemeinnützigen GmbH SVT Görlitz zusammengetan haben. “Unser Ziel ist die Aufarbeitung des Zuges und dessen langfristiger wirtschaftlicher Betrieb”, sagt der ehrenamtliche Geschäftsführer Mario Lieb. Um mindestens 16 Jahre gehe es. Fünf Millionen Euro solle das Projekt kosten. Vier Millionen Euro kämen vom Bund, der Freistaat Sachsen gebe 300.000 Euro, 700.000 Euro Eigenmittel müsse die gGmbH einbringen. Es gab Spendenläufe ebenso wie Arbeitsstunden am Zug und seinen Teilen.

Imposant sieht der SVT aus mit seiner windschnittigen Nase. Damals war die stromlinienförmige Front ein Novum, sagt Marco Schumann von der Verkehrs Industrie Systeme GmbH in Halberstadt. “Es war das Flaggschiff der Deutschen Reichsbahn im internationalen Verkehr.” Acht Züge dieser Art seien zwischen 1963 und 1968 gebaut worden, nur drei seien noch in Teilen erhalten. Der Schnelltriebwagen sei für 160 km/h zugelassen gewesen. Allerdings galt auf den Strecken der Reichsbahn das Tempolimit 120.

In Halberstadt ist der Zug in Tausende Einzelteile auseinander gebaut worden. Und wird nach und nach wieder aufgebaut. Schumann hebt drei Finger, um das Prinzip zu erläutern: entweder ist das Teil noch gut und kann wieder eingebaut werden, es braucht eine Reparatur oder es muss ganz ersetzt werden. Schumann sagt, hier lasse sich nicht einfach in ein Regal greifen wie bei den Wagen, die zur achtjährlichen Inspektion anrollten.

“Wir sind breit aufgestellt”, sagt Lieb. Mindestens 30 verschiedene Firmen seien beteiligt. Bei der VIS in Halberstadt läuft alles zusammen. Es geht um Motoren, Kühlereinheiten und Federung, um Fenster und historische Leuchten ebenso wie neu gewebte Gardinen. Von Vorteil sei da, dass es noch einen gut erhaltenen Zeichnungssatz der Originalteile gebe, sagt Schumann.

Wenn es ums Grobe geht, ist Marcel Schütze dran. Der VIS-Gruppenleiter für den Stahlbau hat Bleche an der Seite des Fahrerstands hoch über der windschnittigen Nase abgehoben. Die Träger darunter seien vom Rost zerfressen. Der überraschende Fund bedeutet größeren Aufwand bei der Restaurierung. Schütze sagt, sie hätten hier schon weit Schlimmeres hinbekommen, Unfallfahrzeuge etwa.

Nach Jahren im Neubau von Schienenfahrzeugen ist der DDR-Zug für den Stahlbauer etwas ganz Besonderes. Imposant sei er, die Kollegen verglichen ihn mit einem Pottwal und drinnen sei es wie in einer Kathedrale, sagt Schütze. Im Führerstand liegt Staub auf all den Hebeln, Schaltern und Anzeigeeinrichtungen. Der Blick durch den fensterlosen Rahmen reicht weit in die Halle.

Wenig entfernt strahlt ein Mittelwagen des SVT frisch lackiert in Eierschalengelb mit rotem und blauem Streifen. Hier haben die Bahnenthusiasten der gGmbH schon in Eigenleistung die Fenster eingebaut – bei nicht sicherheitsrelevanten Teilen dürfen sie mitarbeiten. In einigen Abteilen liegt schon der Fußbodenbelag. Die Sitze fehlen noch. Geschäftsführer Lieb beschreibt, dass der Zug bis in Detail durchgeplant werde, nicht nur technisch. Man habe auch schon Platzdeckchen weben lassen für den Speisewagen.

Nicht alles kann aber detailgetreu wieder aufgebaut werden. Das WC-System etwa, sagt Schumann, bleibe in Teilen im historischen Zustand mit Fallrohr auf die Schienen. Das dürfe heute aber nicht mehr sein und so müssten nutzbare Toiletten auffangen, was aufzufangen sei. Auch Türblockiereinrichtungen müssten nachgerüstet sein – während der Fahrt dürften heute die Türen nicht geöffnet werden können. Eine Klimaanlage wird es wie in den 1960er Jahren nicht geben. Dafür wird es im Großraum wieder den besonderen Komfort mit drehbaren Flugzeugsitzen geben, in den Waschräumen warmes und kaltes Wasser, sagt Lieb.

Wenn der Zug fertig restauriert ist, soll die Eröffnungsfahrt wieder auf der Linie Berlin-Prag und zurück führen. Das war laut Lieb auch die Abschiedsfahrt 2003. Damit der Betrieb wirtschaftlich sei, müsse der Zug 40 bis 50 Mal pro Jahr unterwegs sein, national und international. Es gehe nicht um einen weiteren Museumszug, der im Lokschuppen steht. Der Aktionsradius ermögliche Tages- wie auch Mehrtagesfahrten. Lieb sucht Partner, die den Zug regelmäßig chartern.


dpa / EVN