Bahnlärm im Mittelrheintal: Der Traum von einer leisen Welt


SPENGDLINGEN / BOPPARD | Anwohner im Mittelrheintal kritisieren seit Jahren den Lärm der Züge. Schienenstegdämpfer und Schallschutzwände sollen es richten. Ein Bürgernetzwerk sieht das anders. Für sie gibt es nur eine Lösung.

Es riecht ein wenig nach Bahnhof bei Schrey & Veit. Es ist der typische Geruch, der entsteht, wenn Züge bremsen und quietschend zum Stehen kommen. Natürlich bremsen bei der Firma in Sprendlingen im Kreis Mainz-Bingen keine Züge, was hier hergestellt wird, soll aber zumindest ihren Lärm bremsen: Schienenstegdämpfer und Radabsorber. Damit sollen Züge und Trams in aller Welt ein wenig leiser werden.

Für die sechs von insgesamt 30 Mitarbeitenden, die an diesem Tag im Juni an der Produktionsstraße Schienenstegdämpfer montieren, ist die Welt jedoch nicht gerade still. „Ratsch, ratsch, ratsch“, macht der Drehmomentschlüssel, wenn Schrauben auf Stahlplatten geschraubt werden. In der Luft liegt ein permanentes Sirren und Brummen der Maschinen.

Es sei möglich, die Produktion auf zwei Bändern zu fahren, um insgesamt 3600 Dämpfer pro Tag herzustellen, sagt Geschäftsführer Karl-Stephan Schneider, momentan werde auf Lager produziert. Das heißt, nach der Endkontrolle kommen die Schienenstegdämpfer in Kisten verpackt entweder an das Ende der Halle oder werden draußen auf dem insgesamt rund 3000 Quadratmeter großen Gelände geparkt, wo sie auf ihren weltweiten Einsatz warten. Apropos warten: Schienenteile und Dämpfer aus Australien, Malaysia oder Kanada lagern hier noch genauso wie Rohmaterialien und Dämpfer-Prototypen.

Reichen vier Dezibel Lärmreduzierung?

Die Schienenstegdämpfer sollen die Lärmemission an der Quelle reduzieren. Pro Meter Gleis braucht es laut Schneider 3,14 Dämpfer, die auf beide Seiten der Schiene gelegt und mit Klammern befestigt werden. „Die horizontalen und vertikalen Schwingungen werden aufgenommen und in Wärme umgewandelt“, erklärt der kaufmännische Geschäftsführer. Allerdings geht es hier um Vibrationen zwischen 500 und 6000 Hertz, keine Niederfrequenzen. Das sind die Frequenzen, die Häuser zum Vibrieren bringen können.

Sechs Millionen Dämpfer hat das Unternehmen, das nach eigenen Angaben Weltmarktführer ist, in mehr als 20 Ländern weltweit verbaut, ein Großteil davon in Deutschland. Unter anderem im Mittelrheintal, wo auf beiden Seiten des Rheins gut 200 Kilometer Schienenstegdämpfer verlegt wurden. „Vier Dezibel Lärmreduzierung konnten wir damit erreichen“, sagt der Technische Geschäftsführer von Schrey & Veit, Simon Maurer. Laut Anforderungskatalog der Bahn müssen es mindestens drei Dezibel sein.

Aber genügt das? Die rechtsrheinischen Gleise zwischen Wiesbaden und Koblenz gehören zu Europas meistbefahrener Güterzugstrecke zwischen Genua und Rotterdam. Von Rüdesheim bis Koblenz erstreckt sich zwischen Berghängen das Welterbe Oberes Mittelrheintal mit engen Ortsdurchfahrten für Züge. Das schalltrichterartige Rheintal verstärkt in der Region den Bahnlärm.

Bürgernetzwerk Pro Rheintal fordert Tempolimit – Bahn dagegen

Anruf bei einem, der seit Jahren gegen den Bahnlärm vor der eigenen Haustür in Boppard und im gesamten Tal kämpft. Frank Gross, Vorsitzender des Bürgernetzwerks Pro Rheintal, sagt: „Bei Zügen, die bis zu 110 Dezibel laut sind, hilft nichts, auch keine Schienenstegdämpfer.“ Würden die Züge allerdings in den Ortschaften nur noch 50 km/h fahren, wie er und das Bürgernetzwerk es seit Jahren fordern, könnten die Dämpfer ihre Arbeit machen und Lärm reduzieren. „Das wäre dann schon auch spürbar.“ Gerade bei Güterzügen sei ein Tempolimit zwingend, meint Gross.

Ein Tempolimit beeinträchtige die Leistungsfähigkeit des Schienengüterverkehrs erheblich und würde die Position des Güterverkehrs im Wettbewerb mit der Straße deutlich schwächen, teilt eine Bahnsprecherin mit. Somit würde auch das Ziel von mehr Klimaschutz über eine Verkehrsverlagerung nicht erreicht.

Den Bahn-Angaben zufolge würden sich bei reduzierter Geschwindigkeit die Beförderungszeiten erheblich verlängern, die Streckenkapazität dagegen deutlich verringern. Die Transportkosten im Schienengüterverkehr würden entsprechend steigen. Dabei sei bereits bei einer Reduzierung von 100 auf 70 km/h mit Verkehrsverlusten von bis zu 27 Prozent zu rechnen. Eine Reduzierung auf 50 km/h hätte noch schwerwiegendere Folgen.

Bahn plant mehr Schallschutzwände

Gross hält dagegen: „Es gäbe viele andere Stellen, an denen die Bahn optimieren könnte, um mehr Geschwindigkeit herauszuholen.“ Er nennt etwa die veralteten Verkehrsknotenpunkte, die insgesamt marode Infrastruktur sowie die überalterten Fahrzeuge.

Was den Lärmschutz angeht, hat die Bahn ein Programm geplant, das neben einer Erneuerung oder der neuen Verlegung von Schienenstegdämpfern auch den Bau von Schallschutzwänden in mehreren Kommunen entlang des Rheins vorsieht. Rheinland-Pfalz, Hessen und der Bund investieren laut Bahn mehr als 130 Millionen Euro in der Region.

Stand heute ist laut einer Bahnsprecherin die Hälfte der Vorhaben in Rheinland-Pfalz im Bau, einige Schallschutzwände seien fertiggestellt. Auf der rechten Rheinseite sei für das zweite Halbjahr 2025 der Baubeginn für Schallschutzwände in Koblenz, Kestert sowie St. Goarshausen geplant. Linksrheinisch sollen im ersten Halbjahr 2025 in Koblenz und Weißenthurm die Arbeiten zu Errichtung der Schallschutzwände starten.

Schallschutzwände sind nicht für alle die Lösung

In Hessen sind den Angaben zufolge etwa 50 Prozent der Maßnahmen bereits im Bau. Diese Lärmschutzwände seien nur bei einer bestimmten Lautstärke und Geschwindigkeit ein Segen, meint Gross. „Die tiefen Frequenzen mit mehr als 50 Dezibel gehen über die Schallwände hinaus.“ Dazu kommt: „Viele Anwohner wollen keine Lärmschutzwände, die auch noch mit Graffiti beschmiert werden“, sagt Gross. Das Welterbetal werde so entstellt.

Das Bürgernetzwerk hat deshalb eine Tempo-50-Resolution für Güterzüge in Wohngebieten gestartet. Auch der Koblenzer Stadtrat unterstützt die Resolution nach Angaben von Gross. Neben mehr als 10.000 Unterschriften von Anwohnern im Oberen Mittelrheintal und Rheingau hätten sich auch die Unesco und die meisten Kommunen der Forderung nach einem Tempolimit für Güterzüge innerhalb der Wohngebiete angeschlossen. Die Hoffnung auf eine leisere Welt – sie stirbt für Gross und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zuletzt.


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dpa